Dr. med. Erika Werner
Ausbruch!« rief die Revierbeamtin, als sie zu Erika Werner ins Zimmer kam. »Das ist seit sieben Jahren wieder der erste Versuch. Damals kamen drei durch … aber nach vier Tagen hatten wir sie wieder. In Hamburg, auf der Reeperbahn. Wollten sich dort etwas Geld verdienen, um ins Ausland zu entkommen. Ist doch alles sinnlos … für die paar Stunden Freiheit noch ein paar Jahre Strafverlängerung zu riskieren …«
Sie standen an dem vergitterten Fenster und sahen hinaus. Von weitem hörten sie Stimmen, Zurufe, Befehle. Ein Automotor wurde angelassen, heulte auf und entfernte sich schnell. Sie lauschten so angestrengt nach außen, daß sie beide zusammenschraken, als hinter ihnen das Telefon anschlug. Die Revierbeamtin nahm den Hörer ab.
»Ja«, sagte sie. »Kommen lassen! Ich benachrichtige den Doktor. Nummer zwölf-vier-sechsundfünfzig ist ja auch bereit.«
Sie legte den Hörer zurück und wandte sich zu Erika Werner um.
»Ein Unfall beim Ausbruch. Friedel Bartnow ist schwer verletzt. Sie ist vom Dach der Wäscherei gefallen oder gestoßen worden … das wird noch untersucht werden. Sie ist auf dem Weg zu uns. Ich glaube, Sie müssen wieder operieren …«
Erika Werner fragte nicht lange. Sie rannte hinüber zu dem kleinen OP. Während sie sich wusch, bereitete die Revierbeamtin, eilig alles vor … sie legte das Instrumentarium bereit, deckte den OP-Tisch ab, holte Narkoseäther, die sterilen Kästen mit Catgut und Seide, Spritzen und Herzstärkungsmittel. Sie hatte gerade den Aufbau beendet, als die Bahre hereingetragen wurde.
Mit spitzem Gesicht lag Friedel Bartnow besinnungslos zwischen den beiden Trägern, ihr rechtes Bein ragte über die Trage hinaus. Im rechten Winkel fast stach es vom Körper ab.
Erika Werner sah kurz während des Waschens hinüber. Die typische, anomale Beinstellung machte eine Diagnose klar. Es war ein vollkommener Bruch. Ob Friedel Bartnow sonst noch schwere innere Verletzungen hatte, mußte die Untersuchung ergeben.
»Ausziehen und auf den Tisch legen!« rief sie vom Waschbecken her. Die beiden Träger zögerten. Die Frau, die ihnen das zurief, trug die Zuchthauskleidung.
»Los! Macht schon!« kommandierte die Revierbeamtin. »Wenn se auch im Zet ist, so ist's doch 'ne Ärztin! Doktor Rumholtz kommt auch gleich. Er ist schon unterwegs!«
Während man Friedel Bartnow entkleidete, schlüpfte Erika in den Operationsmantel, band das Kopftuch um die Haare und tauchte die Hände in die antiseptische Lösung.
Vorsichtig, aber gründlich untersuchte sie dann den auf dem Tisch ausgestreckten Körper mit dem wegragenden Bein. Außer einigen Prellungen konnte sie nichts feststellen. Als sie sich dem Bein zuwandte und es geraderichten wollte, zuckte Friedel in ihrer Bewußtlosigkeit zusammen und stöhnte laut.
»Wir müssen es erst röntgen!« Erika Werner richtete sich auf. »Wenn der Bruch so ist, wie ich es mir vorstelle, müssen wir den Knochen nageln …«
»Nageln? Hier?« Die Revierbeamtin starrte Erika ungläubig an. »Das haben wir noch nie gemacht. In Gips gelegt, ja … aber genagelt?«
»Dann machen wir es eben zum erstenmal. Zuerst röntgen wir …«
Gemeinsam schoben sie die Aufnahmeröhre zum OP-Tisch. Erika legte die Plattenkassette unter den gebrochenen Knochen, stellte die Belichtungszeit ein und winkte den anderen, die im Zimmer standen, zu.
»Gehen Sie bitte hinaus. Röntgenstrahlen sind gefährlich! An einem ungeschützten Körper können sie Krebs erzeugen.«
»Aber Sie bleiben ja auch im Zimmer!«
»Es bleibt mir nichts anderes übrig.« Erika Werner wartete, bis alle den kleinen OP verlassen hatten. Dann stellte sie die Röntgenröhre ein und trat zurück in die Ecke des Zimmers. Ein leises Summen, ein kaum vernehmbares Klicken … auf der Filmplatte in dem Bleikasten war der zerbrochene Knochen fotografiert worden. Durch einen Spalt der Tür sah die Revierbeamtin in den OP.
»Fertig?«
»Ja.« Erika holte die belichtete Röntgenplatte unter dem Bein hervor und reichte sie hinüber. »Sofort belichten. Ich bereite unterdessen alles andere vor.«
Zwanzig Minuten später stürmte Dr. Rumholtz in das Zuchthauslazarett. Er fand Erika Werner, wie sie an einem Bett mit der Montage eines Schraubenzugapparates beschäftigt war.
»Was höre ich, Kollegin?« rief Dr. Rumholtz. »Sie wollen hier tatsächlich eine Marknagelung machen?« Er hatte die Röntgenplatte in der Hand. Ein ziemlich zersplitterter Querbruch, der auch bei bester Reposition und Extension zu
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