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Dr. Ohio und der zweite Erbe

Dr. Ohio und der zweite Erbe

Titel: Dr. Ohio und der zweite Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Stichler
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Augenblick zu lange in Wieris schwimmende, blasse Augen.
    „Morgen ist die Testamentseröffnung und ich bin guter Dinge, dass der Zugang zur Bibliothek dann nicht weiter gesperrt sein wird“, fuhr der Calvinist schnell fort und kratzte sich nervös im Schritt. „Wir werden sehen, was Höpfner verfügt hat ...“
    Dr. Ohio antwortete nicht. Er hatte das dumpfe Gefühl, als wüsste Wieri schon genau, was morgen passieren würde. Dr. Laudtner traute er durchaus zu, dass er etwas ausgeplaudert hatte. Weiter vorne geriet der Zug ins Stocken und kam zum Stillstand. Die Trauergäste gruppierten sich um Höpfners Grab. Als Ohio das Familiengrab sah, war ihm klar, dass es keine andere Möglichkeit gegeben hatte, als Höpfner hier zu beerdigen. Seit Generationen wurden die Mitglieder der Familie auf dem Stadtfriedhof beigesetzt. Die Höpfners galten etwas in der Stadt, waren eine alteingesessene Familie von Buchhändlern, einem Metier, dem in der Universitätsstadt immer Hochachtung entgegengebracht wurde.
    Zwischen den kleinen, in den engen Parzellen des Stadtfriedhofs dicht gedrängten Gräbern und teilweise schon halb umgesunkenen Kreuzen und Grabsteinen nahm sich das Grab der Höpfners fast monumental aus. Der Grabstein zeigte eine kleine, kniende Figur auf einem breiten Sockel, die ein offenes Buch in den Händen hielt. Auf den Steinseiten waren Verse eingraviert, darunter standen die Namen der verstorbenen Familienmitglieder. Höpfners Name war noch nicht eingemeißelt. Lediglich ein schlichtes, hölzernes Kreuz mit seinem Namen, seinem Geburts- und Todestag stand neben der aufgeworfenen Grabstelle.
    Wieri ging zu den Hausangestellten hinüber und warf finstere Blicke auf den Bischof und sein Gefolge. Dr. Ohio war überzeugt davon, dass es für Höpfner im Himmel keinen Platz gab. Nicht in Wieris Himmel. Auch der Bischof und er selbst, Ohio, hätten wohl schwerlich Zugang. Man wird sehen. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Alte japanische Weisheit, dachte Dr. Ohio und lächelte. Auch für Höpfner hatte sich das Rad weitergedreht. Wer weiß, in welche Richtung.
    „Ein unangenehmer Mensch“, sagte Erika neben ihm.
    „Wieri?“
    „Na, der da gerade eben. Der Kleine mit den fettigen Haaren.“
    „Für Sie ist doch jeder ein unangenehmer Mensch“, sagte Dr. Ohio unbewegt.
    „Das stimmt nicht. Es gibt Ausnahmen, aber vor allem viele Sünder da draußen.“
    Ohio warf einen Blick auf sie, ihre langen, blonden Haare, ihr frisches Gesicht und ihr etwas zu enges Kostüm. Gewiss wusste sie, wovon sie sprach.
    „Es gibt hier jemanden, den Sie mit Ihrer Aussage sicher sehr glücklich gemacht hätten.“
    Erika fixierte ihn kühl mit ihren graublauen Augen.
    „Schade, dass Sie es nicht sind“, erwiderte sie.
    „Hmhm.“ Dr. Ohio wurde es wieder unbehaglich. Er sah sich verlegen um und scharrte mit seinem Schuh etwas Erde weg.
    Nach der Beerdigung gingen sie noch ein Stück spazieren, an der Ammer entlang durch den Park an der Uni. Dort in der Nähe lag Erikas kleine Wohnung, wo es den Berg hinaufging, hinter dem Arsenal-Kino. Höpfner hatte Ohio davon erzählt, der Gründer des Kinos war mit ihm auf die Schule gegangen. Sie hatten dort später oft und lange im Café gesessen und er war nachts stockbetrunken zurück nach Waldenbuch gefahren.
    Erika hätte auch im Schwesternwohnheim des Sanatoriums ein Zimmer bekommen, aber das war ihr zu nahe an ihrem Job. Sie wollte in ihrer Freizeit möglichst wenig von der Klinik sehen und hören. Das schloss Dr. Ohio nicht ein. Er hatte seine Gehülfin nie gefragt, ob sie einen Narren an ihm gefressen hatte. Aber dass es so war, behaupteten nicht nur beide Dr. Manstorffs. Heinz zwinkerte Ohio immer jovial zu, wenn die Sprache auf seine Assistentin kam. Ohio schrieb es seinem versteckten Schuldkomplex zu, den er ihm gegenüber ohne Frage haben musste, seit er Brigitte geheiratet hatte.
    Er deutete auf eine Reihe alter Häuser am Stadtgraben, die den Anfang der Altstadt bildeten.
    „Dort drüben habe ich öfter mit ihm Schach gespielt“, sagte er.
    „In dem dreckigen Haus da hinten?“
    „Ja. Entweder da oder ein paar Straßen weiter im ,Storchen‘ “. Man kann dort rauchen, das war wichtig für Höpfner. Die Gaststätte hier heißt ‚Zur Träumenden Taube’. Da treffen sich viele Schach- und Kartenspieler.“
    „Ein sehr poetischer Name für eine Eckkneipe“, meinte Erika. Dr. Ohio lächelte.
    „Ja. Aber er beruht auf Tatsachen. Passen Sie auf.“
    Sie gingen hinüber zur

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