Dr. Ohio und der zweite Erbe
ausgewählt werden sollen. Aber das ist nur Beiwerk.
Die Bibliothek bleibt vorerst in der Obhut von Wieri. Und nachher natürlich auch. Sie ist sein Ein und Alles. Das Geld, die Geschäfte, das interessiert ihn alles nicht. Das ist Dr. Laudtners Domäne. Obwohl ich nicht glaube, dass er ernsthaft Absichten hat, das Geschäft auf Vordermann zu bringen. Es bedürfte einiger Arbeit und Investitionen, um die Läden zu modernisieren. Höpfner hat mir gegenüber mal so was angedeutet. Er hat sich um das Geschäft gar nicht mehr gekümmert. Und Laudtners Sache scheint das auch nicht zu sein. Er scheint mehr an Investitionen in sein eigenes Wohlergehen interessiert zu sein.
Das heißt, die beiden werden den Laden schröpfen, kann ich mir vorstellen. Wieri geht es nur ums calvinistische Seelenheil und Dr. Laudtner nur um den weltlichen Wohlstand. Das kann man eine Volksfront nennen, deren Positionen und Visionen unterschiedlicher wohl kaum sein könnten. Aber sie funktioniert. Bis jetzt.“
Erikas Augen waren immer größer geworden und schimmerten in einem zerschmetterten Grau.
„Aber ...“, stotterte sie, „… aber das können Sie doch nicht zulassen. Diese Schurken ruinieren den ganzen Besitz, die ganze Firma.“
Dr. Ohio lächelte dünn.
„Es ist Höpfners letzter Wille. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass er nicht gewusst hat, was er tut. Und selbst wenn ...“ Er zuckte mit den Schultern.
„Doktor“, sagte Erika entsetzt.
„Es war die Rede von einem Buch“, sagte Dr. Ohio ungerührt. „Das war das erste Mal während der ganzen Testamentseröffnung, dass sich bei Wieri eine Regung zeigte. Es muss ein Vermögen wert sein. Ein Buch, das scheinbar im Besitz Höpfners ist, von dem aber niemand weiß, wo es sich befindet. Ist es in der Bibliothek ... Sie sollten diese Bibliothek sehen. Es ist ja nicht nur der eine Raum. Die Sammlung dehnt sich aus auf die nebenliegenden Räume, auf den Dachboden. Auch im Ausland sollen welche lagern. Bücher, Bücher, Bücher, noch von Höpfners Großvater oder Urgroßvater. Ich weiß es nicht. Aber auf dieses eine, besondere Buch kommt es Wieri an, da bin ich sicher. Und auch Dr. Laudtner. Wieri muss Jahre damit zubringen, die Bibliothek zu durchforsten, um es zu finden, so viel ist sicher. Wenn es überhaupt da ist.“
Erika rollte genervt mit den Augen.
„Darf man vielleicht mal erfahren, was das für ein Buch sein soll?“
Dr. Ohio spießte einen Putenstreifen auf seine Gabel.
„Für Wieri ist es wahrscheinlich wichtiger als die Bibel“, fuhr er fort. „Es soll sich um einen Zusatz zu Calvins Institutio handeln.“
Erika verzog wenig beeindruckt den Mund.
„Das Werk, auf dem Calvins gesamte Auslegung der Reformation und seines Gottesverständnisses basiert. Und damit natürlich auch das der Calvinisten“, erklärte Dr. Ohio. „Würde ein Zusatz gefunden, der tatsächlich aus des Meisters Hand stammt, dann könnte das äußerst bedeutsam für die ganze Religionsgeschichte sein. Und für das reformierte Christentum sowieso. Was es für Wieri bedeutet, will ich mir gar nicht vorstellen.“
„Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie klingt das nach einem gefährlichen Erbe“, sagte Dr. Ohios Gehülfin skeptisch. „Und nach einem guten Grund für einen Fanatiker wie Wieri, an ein paar Schräubchen zu drehen und Höpfner ins Jenseits zu befördern.“
Ohio sah sie groß an.
„Ich wäre vorsichtig mit solchen Anschuldigungen“, sagte er. „Die Untersuchungen sind abgeschlossen.“
Erika zuckte mit den Schultern.
„Und wo kommen Sie ins Spiel? Sollen Sie sich ebenfalls an der Rettung des abendländischen Seelenheils beteiligen, oder warum waren Sie zur Testamentseröffnung eingeladen?“
„Ich habe ein paar Bücher geerbt“, sagte Dr. Ohio bescheiden. Dann seufzte er: „Und eine schwere Aufgabe.“
„Und die wäre?“
„Ganz einfach. Die Zusatzverfügung bleibt natürlich in Kraft. Ich soll Höpfners privaten Nachlass regeln. Ich habe Ihnen doch erzählt, dass es zwei potenzielle Erben gibt. Die sind nicht erschienen. Aber alles, was Wieri und Dr. Laudtner betrifft, tritt nur ein für den Fall, dass die beiden nicht aufgefunden werden. Höpfner hat eine Frist von einem halben Jahr verfügt, in der seine zwei Neffen aufgefunden werden müssen. Danach erst wird alles in eine Stiftung umgewandelt, und Wieri und Dr. Laudtner haben den vollen Zugriff.“
Erika warf ihre Gabel in den Kartoffelbrei.
„Das hätten Sie aber auch gleich sagen
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