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Dr. Ohio und der zweite Erbe

Dr. Ohio und der zweite Erbe

Titel: Dr. Ohio und der zweite Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Stichler
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Gesicht an einem kleinen Toilettenfenster, das einen winzigen Spalt offen stand. Mit einem Fuß stützte er sich auf dem Klodeckel ab. Der beißende Qualm kam Dr. Ohio in dicken Wolken entgegen und nahm ihm sofort den Atem. Er hielt die Luft an, umfasste Boris an der Hüfte und zog ihn mithilfe der Schaffnerin auf den Gang. Dort übernahm ihn Erika.
    „Nehmen Sie kein Wasser“, keuchte Boris. „Es geht nicht aus.“
    So schnell die Leute gekommen waren und sich um die Toilette geschart hatten, so schnell wichen sie jetzt zurück, als sich der ätzende Qualm in den Gängen verteilte. Das führte zu noch mehr Stau und Verwirrung, da die weiter hinten Stehenden immer noch nach vorne drängten. Es drohte eine Massenpanik. Die Schaffnerin riss einen Feuerlöscher aus der Halterung und zielte auf den Boden der Toilette. Einige Leute öffneten die Fenster im Gang.
    Dr. Ohio und Erika nutzten das Chaos und schleppten Boris hinüber zur Tür. Ohio öffnete und sprang die drei Stufen hinunter. Er verschwendete keinen Gedanken an ihr Gepäck. Sie mussten es zurücklassen. Es lag auf der Hand, dass Wieri hinter diesem Brand steckte, und die Gefahr war zu groß, ihm im Zug in die Arme zu laufen.
    Boris spürte, dass nur noch Erika an seiner Seite war. Er sah sie mit glänzenden, schwarzen Augen an.
    „Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt“, flüsterte er.
    „Ach, du lieber Himmel“, stöhnte Erika und warf ihn die letzte Stufe hinunter in Dr. Ohios Arme.
    „Das ist Ihr Retter“, knurrte sie, aber nur Boris hörte es.
    Der Regen strömte in warmer, weicher Gleichgültigkeit auf sie herunter. Erika und Ohio hakten Boris unter und schleppten ihn, so schnell seine wackligen Beine es zuließen, über die Gleisböschung, vorbei an einem schmalen Feld und hinein in den angrenzenden Wald. Dort ließen sie sich erschöpft fallen.
    Sie lagen auf dem feuchten Waldboden. Boris versuchte keuchend, Atem zu schöpfen. Dr. Ohio sah zwischen den tropfenden Bäumen durch hinunter auf den stehenden Zug, aus dem jetzt immer mehr Menschen herausdrängten, und über die weite, trostlose Ebene. Er kam sich vor wie auf einem Schlachtfeld in einem Film des japanischen Regisseurs Kurosawa.
    Auf seinem Weg nach vorne roch Wieri die Dämpfe von schlecht verbrennendem Plastik und schwerem Öl schon lange, bevor er in die Nähe der Toilette kam, in der Boris eingeschlossen sein musste. Die Leute wichen zurück, viele drängten zur Tür ins Freie. Wieri sah sich um und sein Blick fiel aus dem Fenster. Er schlug sich an die Stirn und wurde vor Ärger ganz weiß. Natürlich, wäre er ausgestiegen und außen entlang des Zugs nach vorne gegangen, dann wäre er viel schneller gewesen. Er hätte sich ohrfeigen können, dass er nicht früher auf die Idee gekommen war. Aber jetzt war es zu spät.
    An der Unglücksstelle gab es keine Hinweise auf einen Toten, geschweige denn eine schrecklich entstellte Leiche, deren Anblick den Leuten das Entsetzen ins Gesicht getrieben hätte. Niemand war zu sehen, der auch nur im Mindesten in Mitleidenschaft gezogen worden wäre. Eine Schaffnerin hantierte mit einem Feuerlöscher, ein zweiter Bahnangestellter stand mit einem weiteren hinter ihr.
    „Was ist passiert?“, fragte Wieri dumpf.
    „Das sehen Sie doch“, gab die Schaffnerin ärgerlich zurück. „Es brennt.“ Sie schoss einen langen Stoß Löschpulver auf eine wieder aufflackernde Flamme auf dem Fußboden.
    „Waren Leute hier drin? Ich meine, ist jemand verletzt worden?“
    Der Ton seiner Stimme ließ die Schaffnerin kurz aufblicken. Sie ließ den Feuerlöscher sinken.
    „Kannten Sie sie? Ich glaube, sie sind da raus und nach da drüben gerannt.“ Sie zeigte in Richtung Wald.
    „Ich kenne niemanden“, sagte Wieri hastig. „Ich wollte nur wissen, ob jemand verletzt ist. Ich bin Arzt. Ich sehe mal draußen nach.“ Schnell zog er sich zurück.
    Wie groß war sein Dulden, seine stumpfe Ergebenheit in Gottes unergründliche Wege, als ihm klar wurde, dass auch dieser Anschlag schiefgegangen war. Seine Augen schwammen über von Tränen der Wut. In ihm riss etwas, seine letzte Verbindung. War es nun an der Zeit, die letzte, die entscheidende Frage zu stellen? Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Wieri wurde es schwarz vor Augen, rauchschwarzer Zorn vernebelte ihm Sicht und Sinne. Er keuchte schwer und drängte sich an den ihn umgebenden Leuten vorbei, die ihm Platz machten, weil sie seine Glaubenskrise für Übelkeit hielten, ausgelöst durch die

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