Dr. Siri sieht Gespenster - Cotterill, C: Dr. Siri sieht Gespenster - Thirty-Three Teeth
umwickeln und diese zu verknoten. Jemand aus dem engsten Umfeld des Königs hatte ernste Verhandlungen mit der Geisterwelt geführt.
»Glauben Sie das wirklich?«
»Ich habe nicht den geringsten Zweifel.«
»Und wann ist es passiert?« Siri füllte die Kokosschalen nach.
»Als ich den Thron bestieg.«
»Sind Sie da nicht etwas zu streng mit sich selbst?«
»Nein. Daran gibt es nichts zu rütteln. Zur Zeit meines Vaters standen er und mein Onkel Phetsarath in vollkommenem Einklang mit den Geistern. Dieser Obstgarten gehörte ihnen. Haben Sie einen Draht zu den Toten?«
»Ich fürchte ja.«
»Dann spüren Sie wahrscheinlich die Präsenz der Baumgeister und die Macht, die sie in dieser Region besitzen. Sie soll ungeheuer groß sein. Ich selber spüre sie leider nicht. In ganz Luang Prabang wimmelt es förmlich von den Geistern früherer Könige und Königinnen und ihrer Nachkommen. Seit der Zeit meines großen Vorfahren König Fa Ngum besteht eine magische Verbindung zwischen der Residenzstadt und dem Okkulten. Mit ihm kamen die ersten Geister nach Luang Prabang. Wussten Sie, dass er dreiunddreißig Zähne hatte?«
»Wie bitte?«
»Dreiunddreißig Zähne. Unerhört, nicht wahr? Gleiches gilt für Buddha, und obwohl er nie ein Wort darüber verloren hat, geht aus seinen zahnärztlichen Unterlagen eindeutig hervor, dass auch mein Onkel dreiunddreißig Zähne hatte. Das ist ein Zeichen, ein Hinweis darauf, dass man sozusagen als Brücke zur Geisterwelt geboren worden ist.«
»Und das glauben Sie?«, fragte Siri, während er mittels seiner Zunge die Zähne in seinem Mund zu zählen begann.
»Die Tatsachen lassen kaum einen Zweifel zu.« Siri bemerkte zum ersten Mal, dass sich eine Grille auf der Schulter des alten Königs niedergelassen hatte. »Erinnern Sie sich, wie Ihre Freunde von den Viet Minh Anfang der Fünfzigerjahre Luang Prabang einnehmen wollten?«
»Ja.« Jetzt hatte Siri sich verzählt.
»Womit haben sie ihr Scheitern begründet?«
»Hmm, da muss ich nachdenken. Angeblich war die Stadt schwer befestigt und von bewaffneter französischer Miliz umstellt.«
»Ha. Das dachte ich auch. Aber die Franzosen kamen nicht rechtzeitig hier an. Wir hatten nichts weiter als eine Handvoll greiser Domestiken mit rostigen Jagdgewehren. Jeder Häkelkreis hätte die Stadt einnehmen können. Seine Berater sagten meinem Vater, wir seien verloren und er solle fliehen.
Aber er blieb. An jenem Abend rief er die Schamanen zu sich, und sie beschworen die Geister, die Hauptstadt zu beschützen. Am nächsten Tag rückten die Viet Minh auf uns vor. Sie waren sich ihrer Sache so sicher, dass sie die Beute schon weit vor der Stadt unter sich aufteilten. Da plötzlich gingen sie einer nach dem anderen zu Boden.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Sie kippten einfach um. Einige wurden von einer rätselhaften Lähmung befallen. Sie verloren ihre ganze Kraft, verdrehten die Augen und konnten nicht mehr sprechen. Immer mehr fielen dieser mysteriösen Krankheit anheim, bis ihre Anführer den Vormarsch beendeten. Sie mussten die geschwächten Männer auf Bambustragen abtransportieren.
Ihren Sanitätern war es ein Rätsel, welche Krankheit sie befallen hatte und was sie dagegen unternehmen sollten. Als die Männer tags darauf erwachten, waren sie wieder kerngesund. Also marschierten sie von Neuem auf uns los. Und es kam genau so wie beim ersten Mal.«
»Ich muss gestehen, diese Version habe ich noch nie gehört. Sonst würde ich mich daran erinnern.«
»Sie glauben mir nicht?«
»Seit etwa einem halben Jahr bin ich geneigt, fast alles zu glauben.«
»Bei meinem Onkel habe ich es selbst erlebt. Wir verbrachten einen Tag bei ihm in Luang Prabang, und dann erzählte uns jemand, er sei am selben Tag mit meinem Onkel in Vientiane gewesen. Er konnte an zwei oder drei Orten gleichzeitig sein. Einmal habe ich ihn sogar schweben sehen. Er levitierte.«
»Ach, dann probieren Sie den Reiswhisky meiner Schwägerin wohl nicht zum ersten Mal?«
Beide lachten.
»Leider, Dr. Siri, verfüge ich über keine dieser Gaben. Bei meiner Geburt prophezeiten die Schamanen, dass der kwun unser Geschlecht bei meiner Thronbesteigung verlassen würde und ich meine Regentschaft nicht würde zu Ende führen können. Als mein Vater starb, wusste ich, dass ich nicht die Kraft hatte, den Zauber zu bewahren, der uns geholfen hatte, so viele Jahrhunderte zu überdauern.«
Siri schüttelte den Kopf. »Nein, mein Freund. Das ist der Lauf der Geschichte.
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