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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Worte dafür.
    Und als er die Augen wieder öffnete, löste die Wolke aus Schmetterlingen sich auf. Sie stoben auseinander, flogen auf den Eingang der Höhle zu und flatterten ins erste Licht des neuen Tages. Jumar musste die ganze Nacht erzählt haben.
    Erst jetzt merkte er, wie trocken und rau seine Kehle sich anfühlte.
    Er trat hinter den letzten Schmetterlingen an den Eingang der Höhle und sah zu, wie sie den Berg hinunterflatterten, verstreut, einzeln: winzige, bunte Flecken über der glitzernden Fläche aus Schnee und Eis.
    Dort kauerten zwei Gestalten in grünen Tarnjacken und sahen zu Jumar hinauf, und eine zeigte auf ihn. Sie winkten.
    Jumar winkte zurück.
    Und dann betrachtete er seine Hände.

Jumar, sichtbar
    Christopher dachte, die Nacht würde nie enden. Es war so kalt, so kalt –
    Ab und zu liefen sie hin und her, jagten sich gegenseitig durch den Schnee, zwangen sich, in Bewegung zu bleiben – dann saßen sie wieder und warteten; ihre Gedanken bei Jumar, in der Höhle des Drachen. Kein Laut drang von dort aus zu ihnen, aber das mochte an der Entfernung liegen. Niya lehnte sich an ihn, und irgendwo in der Nacht, später, kamen auch ihre Lippen wieder vor, aber Christophers Herz war bei Jumar, und als ihre Hände tun wollten, was sie damals auf dem Felsen vor der geschmolzenen Stadt getan hatten, da schüttelte er den Kopf.
    »Aber wir müssen uns wärmen«, wisperte sie. »Irgendwie. Sonst werden wir erfrieren.«
    »Wir können uns einfach nur ganz fest halten«, flüsterte Christopher. »Das muss reichen. Ich hätte ein schlechtes Gewissen, jetzt – weißt du, Jumar, er – er liebt dich. Ich weiß es.«
    »Und du? Liebst du mich?«
    Er legte ihr seinen Finger an die Lippen.
    Und so hielten sie sich aneinander fest und warteten sich durch die Nacht. Manchmal standen sie auf, um herumzulaufen, damit sie nicht am Fleck festfroren. Doch Jumar kam und kam nicht wieder.
    »Wie lange warten wir?«, fragte Christopher. »Wie lange warten wir, ehe wir hinaufgehen und nachsehen, was geschehen ist?«
    »Bis zum Morgen«, entschied Niya.
    Und als die Sonne aufging und die Schatten der Nacht vertrieb, dachte Christopher, er müsste verrückt werden vor Ungeduld und Sorge.
    »Ich halte das keine Minute länger aus«, sagte er.
    »Das brauchst du nicht«, antwortete Niya, und ein breites Lächeln erhellte ihr Gesicht wie eine eigene Sorte Morgensonne. Christophers Blick folgte ihrem ausgestrecktem Arm.
    »Da ist er«, sagte Niya.
    Ja, und da war er.
    »Aber was ist das?«, fragte Christopher. »Da ist etwas in der Luft –«
    »Schmetterlinge!«, rief sie und starrte ihre Hand an, auf der eines der zerbrechlichen Wesen gelandet war. »Millionen von Schmetterlingen!«
    Hinter den Schmetterlingen kam langsam eine Gestalt in tarngrüner Jacke und grün gefleckten Hosen den Hang hinab, ein Gewehr über der Schulter, dicke Stiefel an den Füßen.
    »Wenn ich nicht genau wüsste, dass du hier neben mir stehst«, sagte Niya kopfschüttelnd zu Christopher, »würde ich wohl sagen: Das dort bist du.«
    »Ja, hm«, machte Christopher ratlos.
    Es stimmte: Die Gestalt, die sich ihnen näherte, sah fast genauso aus wie er.
    Sie war nicht besonders groß, etwas schmächtig, hatte dunkle Haare und flache Gesichtszüge ...
    Und dann war die Gestalt bei ihnen.
    »Jumar?«, fragte Christopher ungläubig.
    »Ich fürchte, das bin ich«, sagte Jumar.
    Niya sah von Christopher zu Jumar, von Jumar zu Christopher und wieder zurück – und schließlich warf sie den Kopf in den Nacken, wie sie es getan hatte, als Jumar ihr erklärte, wer er wirklich war – und lachte und lachte und lachte.
    »Da hat sich nun der eine von euch den ganzen Weg über für den anderen ausgegeben«, prustete sie, »und dabei – dabei seht ihr genau gleich aus! Na ja, bis auf die Nase vielleicht. Christophers Nase ist trotz allem ein bisschen zu europäisch. Ihr – ihr müsstet euch sehen – verflucht will ich sein, wenn ihr nicht als Zwillinge durchgehen könntet!«
    Jumar und Christopher sahen sich an, und Niya lachte noch mehr. »Und ihr könnt ein absolut gleich dummes Gesicht machen«, fügte sie zufrieden hinzu.
    »Tja«, sagte Jumar.
    »Tja«, sagte Christopher.
    Und sie machten sich auf den Weg hinab, hinab vom Macha-puchare, fort von der tödlichen Kälte. Aber noch war der Berg nicht fertig mit ihnen. Noch hatte er eine Überraschung für sie parat. Oder eigentlich mehrere.
    Die erste war, dass sie den Weg nicht mehr wiederfanden, jenen Weg

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