Drachen der Finsternis
eine Feuerstelle, und an einer Wand stapelte sich Holz und die gleiche Sorte rostiger Konservenbüchsen, die sie auch im Zelt gefunden hatten.
»Es lag ihnen wohl nichts daran, dass wir verhungern oder erfrieren«, sagte Arne. »Sie haben gesagt, wir würden ihnen noch sehr nützlich sein. Und sie waren so besorgt wie ich – wegen der beiden. Aber sie haben auch gesagt, sie können nichts machen. Einer von ihnen hustet seit zwei Tagen Blut. Und auch der andere hat Fieber.«
Es dauerte, bis Christophers Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten und er die beiden Körper auf dem Boden entdeckte. »Sie – sie leben doch?«, flüsterte er.
Arne nickte, und sie kauerten sich neben die beiden Jungen auf den Boden. Ihr Atem ging regelmäßig und ruhig. Sie schliefen, doch gleich darauf wachte der eine auf, und Christopher sah für einen Moment das Erschrecken in seinen Augen. Es war das Erschrecken eines Kindes. Die beiden mussten ungefähr so alt sein wie Arne, aber Angst und Krankheit hatten sie auf paradoxe Weise jünger gemacht, hilflos, ausgeliefert.
»What's happenin'?« flüsterte der Junge. »Who is that? One of them?«
Nein. Keiner von denen. Keiner von den Maos. Nicht mehr.
Christopher kniete sich neben den Kranken und erklärte – versuchte, zu erklären –
»I don't understand«, sagte der Junge, Verwirrung in den Schweißperlen auf seiner Stirn.
»Ja, hm«, sagte Christopher, »das hatte ich mir gedacht. Womöglich kann man es nicht verstehen.«
»Und wir können sie nicht mitnehmen«, sagte Arne.
Christopher sah zu ihm auf. »Nein?«
Aber er brauchte keine Erklärungen. Arne hatte recht. Er bückte sich ebenfalls und sprach flüsternd auf den Kranken ein. Flüsternd und lächelnd. Sein Lächeln versprach, dass er wiederkommen würde, dass sie keine Angst haben müssten, dass es noch genug Vorräte gab, dass das Feuerholz reichen würde, dass bald alles gut wäre, bald ...
Und schließlich sagte das Lächeln zu Christopher, zögernd: »Vielleicht sollte ich bleiben. Vielleicht ist es besser, ich kümmere mich um sie.«
»Nein«, sagte Christopher. »Arne. Komm mit. Du kannst hier nichts für sie tun. Aber uns kannst du helfen.«
»Wobei?«, fragte Arne. »Was habt ihr vor?« Sein Lächeln war nicht mehr da.
»Ich weiß es nicht«, sagte Christopher. »Aber Jumar brütet irgendetwas aus. Es muss sich alles ändern. Die Stadt, Kathman-du, wartet auf uns. Jumar sagt ... er sagt, es wird Chaos geben und Durcheinander und Tod... aber wenn all das vorbei ist, werden wir zurückkommen, um die beiden hier herauszuholen.«
»Glaubst du das?«, fragte Arne und sah ihn an. Christopher blickte zu Boden. »Komm«, sagte er.
Aber ein junger Maoist, auf dessen Schulter ein Gewehr grotesk gewirkt hatte, hatte erwogen, in einem Zelt Schutz zu suchen. Im Schatten eines Zeltes. Und er hatte es nicht grundlos erwogen.
Nachdem der nepalesische Thronfolger zu seiner Sammlung aus neuen Dingen, die er seit einigen Wochen stetig vermehrte, Schneeschlieren und unerwartete Abgründe und den Wunsch, Streit zu schlichten hinzugefügt hatte, – als er vor einem gewissen tarnweißen, menschenleeren Zelt stand –, da fiel sein Blick auf die Felswand gegenüber, und aus einem unerfindlichen Grund wanderte jener Blick an ihr empor.
Und oben, wo sie aufhörte, blieb der Blick hängen.
Und der nepalesische Thronfolger trat einen Schritt zurück und griff nach dem Arm seiner Begleiterin.
»Niya«, wisperte Jumar. »Niya, sieh nur! Dort oben!«
»Psst«, machte Niya. »Steh ganz still. Nicht bewegen. Vielleicht haben sie uns noch nicht gesehen.«
Und jeder, der Zeuge dieses Gespräches geworden wäre, hätte geglaubt, dort oben eine Gruppe von Kämpfern zu finden. Aber das war es nicht, was die beiden Wanderer erstarren ließ.
Am Rand der Felswand, über der Höhle, saßen zwei riesige, blausilbern schimmernde Drachen. Sie saßen ganz ruhig, die Flügel auf dem Rücken gefaltet, die Pranken mit den gigantischen Krallen vor sich auf der Kante des Felsens – wie große, träge Katzen auf einem überdimensionalen Fensterbrett. Nur ihre Köpfe pendelten auf den langen, geschmeidigen Hälsen hin und her, beobachtend, abwartend, ohne Eile.
»Wir müssen Christopher warnen«, flüsterte Jumar.
Niya nickte grimmig.
»Vielleicht sollten wir zusehen, dass wir zu ihnen hinüber in diese Höhle kommen«, wisperte sie.
Aber in jenem Augenblick trat Christopher aus dem Eingang eben jener Höhle und betrat das Brett, und hinter
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