Drachen-Mädchen
Augenblick. »Mir ist gerade eingefallen, was mit diesen Eiern los ist!«
Chem sprang beiseite und drückte die Gorgone zu Boden. Das Ei traf neben ihr auf die Erde und explodierte. Ein schmutziges Krachen, das Herabprasseln von Erdreich und Unterholz – dann erschien ein kleiner Krater im Boden.
Die Eier waren wirklich Bomben! Irene begriff, daß die Harpyien in Kriegszeiten wahrscheinlich Granatäpfel aßen, um die explosiven Kerne ihren Eiern zuzufügen. Die waren wirklich gerüstet!
Grundy, der unverletzt geblieben war, rannte um den Krater und kletterte sofort auf den verhüllten Kopf der Gorgone. Doch die Haube war fest verschnürt, und er konnte die Knoten nicht lösen. Die Harpyie beobachtete alles von oben, wo sie im Kreis umherschwebte. Ob sie noch ein zweites Ei besaß?
»Kein Wunder, daß sie sich kaum fortpflanzen!« rief Chem. Grundy mußte lachen. Es wäre wirklich schwierig, ein lebendes Harpyienküken auf einer Eierbombe auszubrüten!
Doch die Gefahr, in der sie sich befanden, war alles anderes als komisch. »Grundy, gib mir einen Samen!« rief Irene. »Schnell!«
Der Golem krabbelte zu ihrem Beutel und griff willkürlich hinein. »Wachsen!« befahl Irene der Handvoll Samen.
Die Samen begannen sofort zu keimen. Natürlich konnte Irene auch mit hinter dem Rücken verbundenen Händen Pflanzen zum Wachsen bringen, aber es war immer sehr riskant, dies willkürlich und unbedacht zu tun. Denn die Samen konnten zu allem möglichen werden, zu harmlosen wie zu gefährlichen Gewächsen.
Eine Korallenblume überzog die Hand des Golems mit Korallen, und er ließ die Samen hastig fallen. Ein Zuckerhut ließ einen Hut aus Zucker hervortreten. Eisenholz stachelte empor, mit Spitzen, die aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit hier in der Nähe des Wassers bereits mit Rost überzogen waren. Ein Hornklee stieß ein Tuten aus, und ein gemeiner Steinbruch bohrte sich mit seinen Wurzeln in den nächsten Stein und spaltete ihn in zwei scharfkantige Stücke.
Grundy sprang hinunter und hob einen dieser Stücke auf. Dann begann er, damit an den Handfesseln der Gorgone zu sägen.
Doch nun machte sich Hannah Harpyie wieder bemerkbar. Offenbar hatte sie ein weiteres Ei bereit.
Chem projizierte eine Landkarte. Sie zeigte dort, wo die Gruppe sich befand, einen Felsvorsprung, während sie dort, wo in Wirklichkeit ein Felsvorsprung war, Irenes Trupp zeigte. Die Harpyie blinzelte kurz und orientierte sich aufs neue, führte eine Kurskorrektur durch und ließ ihr Ei hinabplumpsen. Es schlug auf den Felsvorsprung auf und zertrümmerte ihn zu einem Sandhaufen. Sand spritzte ihnen um die Ohren.
Da bekam die Gorgone endlich die Hände frei und griff an den Kopf, um sich von der Haube zu befreien. Doch die war fest am Hinterkopf verschnürt und gab nicht nach.
»Nehmt den Stein, um sie durchzuschneiden!« befahl Irene.
Die Harpyie merkte, daß hier etwas nicht stimmte. Chems Karten waren zwar gut, aber keine echten Illusionen; wenn man sich anstrengte, konnte man sie durchschauen. Hannah flog einen Bogen, um ein weiteres Ei zu legen. Diesmal würde sie sie nicht verfehlen.
Irene sah nur noch eine Chance. »Gorgone! Wenn Ihr überhaupt etwas sehen könnt, werft den Stein!«
Die Gorgone schnitt sich mit der scharfen Steinkante über das Gesicht und riß damit die Haube vor ihren Augen auf. Nun hatte sie einen gewissen Ausblick – und schleuderte den Stein der herabstürzenden Harpyie entgegen.
Ihr Zielvermögen war ausgezeichnet: Der Stein traf sein Ziel – und das Ei explodierte. Die Harpyie hatte es noch nicht ausgeklinkt.
Die Explosion klang gedämpft. Ein entsetzlich widerlicher Hagel prasselte auf sie herab, und der Gestank war unglaublich.
Irene wischte sich die Schmiere aus den Augen und blickte zum Himmel empor. Von Hannah Harpyie war nichts mehr übrig außer einer übelriechenden Rauchwolke. Sie war dunkelgrau, mit blutroten Streifen durchzogen.
»He, die Gefangenen brechen aus!« schrillte eine andere Harpyie.
»Wir müssen endlich fliehen!« sagte Irene angespannt.
Nun war von der Wasserfläche, auf deren Insel sich die Kobolde befanden, Schlachtenlärm zu hören. Die verbliebenen Harpyien hatten die Kobolde angegriffen, und es erhob sich ein gar fürchterliches Getöse.
Die Gorgone behielt die zerrissene Haube an, damit sie etwas sehen konnte, ohne ihr todbringendes Gesicht enthüllen zu müssen, und machte sich eilig daran, Chems Fesseln zu lösen. Bald darauf war die Zentaurin frei. Sie nahm ihren Bogen
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