Drachen-Mädchen
geschah, dann würden sie sich echt betroffen fühlen.
Irene wußte, daß sie das Wesen so schnell wie möglich erledigen mußte.
Nun riß sie ihren Arm hoch, so daß die Koboldhand, die ihn eisern umklammerte, gegen den Kopf ihres Gegners stieß. Da ließ er sie los. Mit einem wohlplazierten Tritt mit dem Hinterhuf schleuderte Chem ihn nun beiseite, und Irene konnte wieder in Deckung gehen.
»Wir müssen fort von hier, sonst finden wir alle noch den Tod!« keuchte Irene. Sie hatte nicht viel Erfahrung mit dieser Art von Nahkampf, und es gefiel ihr überhaupt nicht.
»Ich sollte besser meine Waffen einsetzen«, sagte die Gorgone und faßte sich dabei an den Kopf.
Irene seufzte. »Wir haben wohl keine andere Wahl.«
Plötzlich hörten sie, wie die Harpyien aufgeregt kreischten: »Das ist er! Das ist er!«
Irene spähte aus dem Blattwerk hinaus ins Freie. Doch sie erblickte nur eine weitere Harpyie, die den anderen zu Hilfe eilte. Keine gute Nachricht!
»Er?« fragte Chem. »Der Hahn, von dem sie dachten, die Kobolde hätten ihn umgebracht?«
Nun erkannte Irene, was die Ankunft des Vogels zu bedeuten hatte. »Dann haben sie gar keinen Grund mehr, zu kämpfen!«
»Och, die werden trotzdem weitermachen«, meinte Grundy. »Harpyien und Kobolde lassen keine Gelegenheit aus, sich gegenseitig zu bekriegen.«
»Dann sollen sie es gefälligst sein lassen, während wir zwischen ihnen eingekeilt sind!« rief Irene.
»Vielleicht kann ich ja einen Waffenstillstand herbeiführen«, sagte Chem. »Der Augenblick scheint mir günstig zu sein, und ich glaube, ich bin dem Koboldhäuptling schon einmal begegnet.«
»Ein Versuch kann nicht schaden!« willigte Irene ein. Ihre Hände waren kalt und klamm, und sie hoffte, daß sie nicht so zerzaust aussah, wie sie sich fühlte.
Chem konzentrierte sich. Ihre Karte erschien – doch diesmal zeigte sie keine Landschaft, sondern übergroße Buchstaben: WAFFENSTILLSTAND. Gleichzeitig rief die Zentaurin: »Kotbold! Kotbold Kobold!«
Nur wenige Harpyien waren des Lesens kundig, aber die Anführerinnen waren etwas gebildeter als die meisten anderen. »Waffenstillstand?« kreischte Haggy Harpyie aufgebracht. »Waffenstillstand? Wer sagt das?«
Und der Koboldhäuptling erwiderte: »Wer ruft da meinen Namen?«
»Ich bin’s, Chem Zentaur«, rief Chem. »Ich bitte um diesen Waffenstillstand, weil ihr Kobolde und Harpyien keinen Grund zum Kämpfen habt, und das will ich euch erst beweisen, bevor ihr die beste Gelegenheit, Frieden zu schließen, verstreichen laßt.«
»Frieden schließen!« kreischten Kotbold und Haggy wie mit einer Stimme.
»Wir wollen keinen Frieden!« fuhr Haggy fort.
»Wir wollen Krieg!« schloß Kotbold.
»Aber…« protestierte Irene verwirrt.
»Die alte Henne hat recht«, sagte Kotbold. »Wir haben schon achthundert Jahre keinen richtig schönen Krieg mehr gehabt. Der war schon lange überfällig!«
»Kann man wohl sagen!« kreischte Haggy.
Der neu hinzugestoßene Harpyienhahn kam herbeigeflogen. Nun sah Irene, daß sein Gesicht und seine Federn sauber waren und daß er ein recht ansehnlicher Halbmensch war. »Trotzdem werden wir Friedensverhandlungen führen«, rief er, und auch seine Stimme kreischte nicht so schrill wie die der Hennen. »Wir werden ein Waffenstillstandsabkommen schließen und die Zentaurin anhören, denn Zentauren sind bekanntermaßen gerecht denkende Leute.«
Die Hennen flatterten verstört umher und glucksten, weil sie sich nicht ernsthaft mit dem kostbaren männlichen Exemplar ihrer Gattung anlegen konnten. »Wenn du meinst«, kreischte Haggy schließlich mürrisch.
»Aber ich meine nicht!« schrie Kotbold aus seiner Deckung im Gebüsch. »Ich will sie alle auslöschen – angefangen bei diesem spatzenhirnigen Hahn!«
Da erschien ein wunderschönes Koboldmädchen. »Dann mußt du mich auch auslöschen, Vater!« rief sie. »Ich liebe ihn!«
Eine Romanze zwischen Harpyie und Kobold? Das war ja noch eine weitere Überraschung!
»Ein Koboldflittchen!« kreischte Haggy empört. »Wir werden sie in Eiern begraben!«
»Das werdet ihr nicht tun!« rief der Hahn. »Ich werde sie nämlich heiraten!«
Irene staunte. »Es stimmt also tatsächlich! Kein Wunder, daß diese Wesen so aufgebracht sind! Das ist die verbotenste Liebe, die sie kennen!«
»Dann sollten wir wirklich besser schnell einen Waffenstillstand stiften!« sagte Chem. »Sonst werden wir gleich unter Federn und Plattfüßen begraben!«
Irene tastete in ihrem Beutel herum,
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