Drachen-Mädchen
Humfreys Zauberbeutel mit. Kurz darauf war er aus dem Gesichtsfeld verschwunden.
»Nein!« schrie Irene. »Jetzt hat er seine Magie verloren!«
Die Gorgone nickte grimmig. »Ich hätte dabeisein müssen«, sagte sie und berührte vielsagend ihren Schleier. »Männer sind ja manchmal so hilflos, wenn man sie allein läßt! Aber irgend jemand mußte ja auf das Schloß aufpassen, während er das Wasser vom Jungbrunnen holte.«
Das war ein neuer Schock für Irene. »Der Jung…!«
»Oh, das hätte ich nicht sagen sollen!« entgegnete die Gorgone peinlich berührt. »Das ist doch ein Geheimnis.«
Im Spiegel ging es munter weiter: Der Spaltendrache kam immer näher und bedrohte Mann und Junge. »Ein Geheimnis?« fragte Irene. Trotz der entsetzlichen Szene, die sich da vor ihren Augen abspielte, fesselte diese Offenbarung ihre Aufmerksamkeit. Im Laufe der Jahrhunderte hatten sehr viele Leute nach dem Jungbrunnen gesucht. Vielleicht hatten sie ihn nur nicht gefunden, weil er wie ein Teich aussah. Jeder, der achtlos von seinem Wasser trank, würde durch eine Überdosis Jugend außer Gefecht gesetzt werden. »Ist Euch eigentlich klar, was dieses Wasser für die Bewohner Xanths bedeuten kann? Mein Vater…«
Der Gute Magier brüllte gerade seinen Sohn an. Hugo fummelte stumpfsinnig an der eingewickelten Flasche herum. Das ganze Schauspiel schien eine halbe Ewigkeit zu dauern: nahender, dampfspeiender Drache, zurückweichender Mann, flaschenauswickelnder Junge.
»Versteht Ihr denn nicht, daß es ein Geheimnis bleiben muß?« fragte die Gorgone. »Humfrey nimmt ihn nur sehr vorsichtig in Anspruch, um nicht viel älter als hundert Jahre zu bleiben, und der Zombiemeister benutzt das Wasser, damit seine Zombies besser funktionieren. Er wußte noch aus alten Zeiten davon und hat es Humfrey erzählt. Früher war das mal ein richtiger Springbrunnen, aber im Laufe der Jahrhunderte ist er schwach geworden. Aber wenn ganz Xanth ihn benutzen sollte, würde niemand mehr an Altersschwäche sterben, und manche Dinge müssen einfach… na ja, dann wäre bald alles übervölkert…«
Irene richtete ihr Augenmerk wieder auf den Spiegel. Endlich gelang es dem Jungen, die Flasche auszuwickeln und den Verschluß zu öffnen. Den Anweisungen seines Vaters folgend, schwang er die Flasche in einem hohen Bogen herum, so daß das magische Wasser dem Drachen entgegenspritzte.
»Vorsicht!« rief Irene, als sie erkannte, welche Konsequenzen das haben konnte.
Das Wasser benetzte den angreifenden Drachen – der sofort zusammenschrumpfte und immer jünger wurde. Und es traf auch den alten Mann.
Wie erstarrt sah Irene zu. Das Wasser der Jugend war eine Waffe, denn eine Überdosis konnte jedes Lebewesen seiner Erwachsenenkräfte und -fähigkeiten berauben. Offenbar mußte es nicht eingenommen werden, der bloße Hautkontakt genügte.
Doch ließen sich Waffen gleichermaßen gegen Feinde wie Freunde anwenden, und nun wurden Drache und Magier immer jünger und hilfloser.
Der Drache wurde zu einem viel kleineren Ungeheuer mit helleren grünen Schuppen und dichterem Dampf. Der Gute Magier wurde zu einem halbwegs gutaussehenden Gnom von etwa fünfzig Jahren, mit aufrechtem Oberkörper und voller Hauptbehaarung. Doch damit war der Prozeß noch nicht beendet: beide verjüngten sich unaufhaltsam weiter.
»Wahrscheinlich können wir von Glück reden, daß sie sich nicht bis ins Nichts verjüngt haben«, sagte die Gorgone. »Beide sind über hundert Jahre alt, sonst hätten sie es womöglich nicht überlebt. Ich habe einen Notzauber, den Humfrey zurückgelassen hatte, eingesetzt, um ihn wieder hierherzuschaffen…«
Der Magier verschwand aus dem Bild, während Hugo verwirrt und entsetzt zu weinen begann. Der Drachensäugling schüttelte sich, blickte sich um, breitete seine winzigen Flügel aus und jagte verängstigt davon.
Nun verblaßte das Spiegelbild, und Irene musterte erneut das Baby im Spielzimmer. »Das ist also tatsächlich Humfrey!« sagte sie atemlos.
Die Gorgone seufzte. »Ja, das ist er. Und Hugo ist immer noch da draußen. Anscheinend hat ihn das Wasser nicht getroffen, aber das ist auch so ungefähr das einzige Positive daran. Ich kann ihn mit dem Spiegel nicht erfassen, weil der auf Humfrey geeicht ist und ich nicht weiß, wie ich die Einstellung verändern kann. Und ich kann nicht einmal nach meinem verschollenen Sohn suchen, weil…«
Irene merkte, daß die Gorgone unter ihrem Schleier zu weinen begonnen hatte. Auch sie brauchte
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