Drachen-Mädchen
irgendeinen Kitzelunfug anstellen, doch eine Fächerpalme wedelte die Feder beiseite. Grundy klatschte nach ihr, aber sie wich zurück und legte ihre Finger eng an den Leib. So traf der Golem nur eine daneben stehende Passionsblume, die ihm auch prompt eine Dornenkrone aufsetzte. Was der Golem dabei von sich gab, als er die pieksende Krone von seinem Kopf pulte, war nicht zu verstehen, weil er sich dabei der Pflanzensprache bediente, aber eine Schamlilie errötete, als sie ihn hörte, eine Trompetenlilie blies zum Rückzug, eine Feuerblume gab einen Salutschuß ab, und ein Nimmerleinskraut verwelkte.
Sie machten halt, um etwas zu sich zu nehmen, weil Reisen hungrig machte. Xap und Xavier landeten; wenn ihnen Gesellschaft auch nicht zusagen mochte, galt dies doch nicht für Nahrung, und sie wußten, daß sie während der Rast das Zombiemädchen wenigstens für kurze Zeit loswurden.
Irene ließ eine Puddingsapfel-, eine Honig- und eine Schweizerkäsepflanze für Xavier, Chem und sich selbst wachsen: Xap bekam einen roten Pfefferschotenstrauch, und Grundy durfte sich an einer echten Nichtdiebohne erfreuen.
Langsam brach der Abend an. »Wie weit ist es noch?« fragte Irene.
»Och, Xap könnte es in einer knappen Stunde schaffen«, erwiderte Xavier fröhlich. »Aber Ihr werdet wohl etwas länger brauchen.«
»Ja«, erwiderte Chem kurz angebunden. Es war nicht zu übersehen, daß der lange Marsch durch das abwechslungsreiche Gelände sie ermüdet hatte. Für derlei Ausflüge waren Flügel weitaus besser geeignet.
»Dann schlagen wir wohl besser unser Lager auf«, meinte Grundy, »und machen uns morgen früh auf den Weg zum Parnaß.«
»Ja, ich glaube, das wird das beste…« Plötzlich erstarrte Irene vor Entsetzen.
Dort, am Fuß eines Faßkaktus, lag der zerschlagene Körper eines Kindes! Es sah aus wie ein Mädchen, und Irene erkannte mit schrecklicher, übelkeiterregender Sicherheit, wer es sein mußte, denn das Haar des Kindes hatte einen grünen Schimmer…
War ihre Vision – etwa Wirklichkeit geworden?
Sie zwang ihre widerstrebenden Gliedmaßen, sich in Bewegung zu setzen, und rannte auf den Körper zu – doch plötzlich war nichts mehr zu sehen. Der Waldboden wirkte völlig unberührt.
»Was habt Ihr denn?« fragte Chem besorgt. »Ich habe nichts Ungewöhnliches wahrgenommen.«
»Es muß mein… mein Fehler gewesen sein«, sagte Irene mit schwacher Stimme. »Ich habe… Ivy gesehen. Sie war… sie sah tot aus!«
»Aber Euer Efeu wirkt doch noch ganz gesund«, meinte die Zentaurin. »Dann kann es auch nicht Eure Tochter gewesen sein.«
»Ja, natürlich«, stimmte Irene ihr bei und griff nach dem Efeu. »Das hätte ich mir auch sagen müssen. Aber das Kind hatte grünes Haar…«
»Ach so, das ist der Doppelgänger«, sagte Xavier. »Schenkt ihm keine Beachtung, Fräulein.«
»Der was?« fragte Irene verwirrt.
»Der Doppelgänger. Bei uns zu Hause hängt er ständig rum. Ich sag’ doch, den solltet Ihr nicht beachten, hat überhaupt nix zu sagen.«
Chem peitschte nervös mit dem Schweif. »Dann wird es wohl so sein, Xavier. Aber was ist denn das, ein Doppelgänger? Eine Erscheinung?«
»Nö. Das ist, wenn man eine lebende Person sieht, nur daß man sie eben tot sieht. Mami mag den Doppelgänger. Das entspricht ihrem Sinn für Humor.«
»Das kann ich mir denken«, brummte Grundy.
»Die Person, die man dabei sieht – ist die denn auch wirklich am Leben?« fragte Irene, deren Entsetzen langsam von ihr wich.
»Na klar, Irene«, sage Xavier. »Macht doch keinen Spaß, jemandem einen echten Toten vorzugaukeln.«
»Wenig Spaß!« rief Chem erzürnt.
»Ich mag den Doppelgänger ja auch nicht«, gestand Xavier. »Früher, als Xanth noch neu war, bedeutete das den Tod, wenn man ihn sah. Heute heißt es nur noch Pech. Mami mag Pech, aber ich nicht.«
Irene warf dem jungen Mann seitlich einen Blick zu. Trotz seiner Zurückgebliebenheit mochte sie ihn jetzt besser als vorher. »Ihr kommt wohl nicht gut mit Eurer Mutter aus?«
»Och, schon. Sie sagt mir, was ich tun soll, und ich tu’s, damit sie mich nicht mit ihrem Bösen Blick malträtiert. Aber fliegen tu ich lieber.«
Das konnte Irene ihm gut nachempfinden. Jeder normale Mensch würde alle Möglichkeiten wahrnehmen, um vor der Hexe zu fliehen. »Danke für die Informationen über den Doppelgänger«, sagte sie. »Das ist mir eine wirkliche Erleichterung.«
»Na ja, Ihr seid ja auch ein wirklich hübsches Mädchen, echt hübsch, auch wenn Mami
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