Drachenauge
wohl nie erfahren, wie viel mir diese Bemerkung bedeutet, dachte Iantine. Dann holte er so tief Luft, dass seine Brust anschwoll. Wenn er Debera doch nur ein einziges Mal allein sprechen könnte …
Aber sie wird nie mehr allein sein, jetzt, da sie meine Reiterin ist.
Iantine unterdrückte einen Seufzer, den weder der
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Drache noch die Reiterin hören sollten und bemühte
sich, seinen Gedanken so wenig Intensität wie möglich zu verleihen. Ist es das alles wert, fragte er sich. Für den Rest des Konzerts versuchte er, sich nicht mehr auf Debera zu konzentrieren.
Der zweite und dritte Teil der ›Landungssuite‹
rauschte an ihm vorbei, ohne dass er besonders aufmerksam zugehört hätte. Zum Schluss befasste sich der Text mit der Gegenwart. Halb zynisch, halb erstaunt vermerkte er, dass von Chalkins Absetzung nicht die Rede war. Doch der Vorfall hatte erst vor kurzem stattgefunden, und vielleicht waren weder der Komponist noch der Textdichter so eingehend über die Vorgänge in Bitra informiert, dass sie sie in das Werk hätten einbrin-gen können.
Er fragte sich, ob die Chalkin-Affäre in die Geschichte Perns eingehen würde. Chalkin mochte dies noch als einen letzten persönlichen Triumph auffassen. Womöglich war das der Grund, weshalb man ihn schlichtweg ignorierte; für Menschen wie ihn war es wohl die härteste Strafe, wenn man sie einfach überging.
Nach dem Konzert fand das Abendessen statt, und
dazu hatte man die riesige Kaverne passend eingerichtet. In all der Hektik und dem Gedränge wurde er von Debera getrennt. Die Panik, die er darüber empfand, verdeutlichte ihm, wie sehr er an dem Mädchen hing.
Als sie sich wiederfanden, fassten sie sich spontan bei den Händen und ließen sich selbst dann nicht los, als sie vor dem Büfett in der Schlange standen.
Nachdem sie sich mit Essen versorgt hatten, setzten sie sich an einen der langen Tische zu den anderen Gästen, die bereits eifrig dabei waren, über die Musik, die Sänger und die gesamte Aufführung zu diskutieren.
Allgemein herrschte das Gefühl vor, dass man sich
glücklich schätzen dürfe, in einem Weyr zu weilen, der so bevorzugt behandelt wurde. Pern konnte auf eine große musikalische Tradition zurückblicken, die die 369
ersten Siedler ins Leben gerufen hatten und die von sämtlichen Institutionen, ob Burg, Weyr oder Lehrinsti-tut, wachgehalten wurde.
Von klein auf lernte jeder Perneser, Noten zu lesen und mindestens ein Instrument zu spielen, wenn nicht gar mehrere. Selbst die ärmste Festung verfügte über Gitarrenspieler, Flötisten und Trommler, die mit ihren Weisen die langen Winternächte verkürzten und zu jeder besonderen Gelegenheit musizierten.
Das Essen war ausgezeichnet – obwohl Iantine kaum
wusste, was er zu sich nahm. All seine Sinne waren darauf fixiert, dass er neben Debera saß und ihre Schenkel sich berührten. Das Mädchen führte lebhafte Gespräche mit den Tischnachbarn, wobei sie eine profunde Kenntnis über Musik verriet. Ihre Wangen glühten, und ihre Augen blitzten vergnügt. Noch nie hatte er sie so euphorisch gesehen. Doch auch er fühlte sich wie berauscht und freute sich bereits unbändig auf das Tanzen. Dann endlich durfte er Debera in seinen Armen halten, sich noch enger an sie schmiegen, als es jetzt schon der Fall war. Er war ganz kribbelig vor Ungeduld.
Doch er musste warten. Eiscreme wurde serviert, die traditionelle Nachspeise, und niemand wollte darauf verzichten. Dieses Jahr schmeckte das Eis nach Früchten und Sahne und enthielt kleine Obststückchen. Iantine wusste nicht, ob er das Vergnügen langsam auskosten und riskieren sollte, dass das Eis schmolz – denn in der Kaverne war es sehr warm – oder ob es besser war, es herunterzuschlingen, damit er die angenehme Kühle auf der Zunge spürte. Als er bemerkte, dass Debera das Eis in Windeseile verputzte, tat er es ihr gleich.
Nach dem Essen wurde eine Tanzfläche freigeräumt.
Wieder stimmten die Musiker ihre Instrumente.
Als es dann soweit war, führte K'vin Zulaya, die in dem wundervollen roten Brokatkleid eine prächtige Figur abgab, in die Mitte, um der Sitte gemäß den Tanz zu eröffnen. Am liebsten hätte Iantine das attraktive Paar 370
gemalt, doch er hatte seinen Zeichenblock unter den aufeinander getürmten Tischen versteckt und musste sich damit begnügen, sich die Einzelheiten des Bildes zu merken, um es später vielleicht aus dem Gedächtnis zu zeichnen.
Noch nie zuvor hatte er gesehen, dass Zulaya
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