Drachenauge
wird, von hier fortzugehen. Die anderen Reiter rechnen nämlich fest damit, dass du eines Tages von einem Bronzedrachen erwählt wirst.«
Mit einem Achselzucken tat Leopol diese Zukunfts—
aussichten ab. Für ihn zählte nur die Gegenwart und nicht, was sich in drei, vier Jahren eventuell ereignen mochte. »Müssen Sie denn gehen?«
»Leider ja. Ich habe die Gastfreundschaft des Weyrs schon viel zu lange in Anspruch genommen.«
»Das haben Sie nicht.« Bedeutungsvoll blickte der
Junge zum See hin, wo die Weyrlinge ihre Jungdrachen badeten. »Außerdem sind Sie mit Ihrer Galerie noch nicht fertig. Ein paar Reiter fehlen noch.«
»Wie dem auch sei, Leo, demnächst begebe ich mich
nach Benden, um dort Porträts des Burgherrn und seiner Gemahlin anzufertigen. Das schulde ich ihnen, seit ich meine Ausbildung im Institut Domaize begann.«
»Werden Sie später hierher zurückkommen? Sie haben Chalkins Gesicht noch nicht übermalt, und es ist ja nicht so, wie wenn Sie jemandem im Weyr einen Schlaf-361
platz wegnehmen würden.« Weinerlich verzog Leopol
das Gesicht. »Debera will auch, dass Sie bleiben.«
Iantine bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Leopol!«, sagte er in warnendem Ton.
Mit der Stiefelspitze stocherte der Junge im Sand herum. »Jeder weiß, dass Sie in sie verknallt sind, und die Mädchen klatschen, sie hätte ein Auge auf Sie geworfen. Das einzige Problem stellt Morath dar. Doch sowie sie fliegen gelernt hat, bekommt sie einen eigenen Weyr, und Sie und Debera hätten eine Intimsphäre.«
»Intimsphäre?« Iantine wusste, dass Leopol altklug
und frühreif war, aber …
Leopol unterdrückte ein Grinsen. »In einem Weyr
lässt sich nichts vertuschen. Hier gibt's keine Geheimnisse.«
Iantine schwankte zwischen Gereiztheit und einem
verdeckten Triumph. Es freute ihn zu hören, dass Debera ihn offenbar als Partner in Betracht zog, gleichzeitig wurmte es ihn, dass man ihm seine Empfindungen ansah. Verliebt zu sein war für ihn eine gänzlich neue Erfahrung. Wenn Debera nicht bei ihm war, fühlte er sich elend, und des Nachts verbrachte er schlaflose Stunden damit, die Gespräche mit ihr immer wieder in Gedanken durchzugehen.
Selbst in einer Kaverne, in der sich die Menschen
dicht an dicht drängten, hörte er sofort Deberas Stimme heraus, und wie von selbst zeichneten seine Finger imaginäre Szenen, in denen nur er und das Mädchen vorkamen. Den Skizzenblock hütete er wie seinen Augapfel, damit niemand von seiner Besessenheit erfuhr. Für ihn drehte sich alles nur noch um Debera – und die allge-genwärtige Morath. Zum Glück mochte der Drache ihn gut leiden, das wusste er, weil Morath es ihm gesagt hatte.
Allerdings war dies das erste ermutigende Zeichen
gewesen, das man ihm gewährte. Er hatte versucht herauszufinden, wie bedeutungsvoll Moraths Einge—362
ständnis war, und ob sich darin Deberas Meinung über ihn widerspiegelte. Während er einen Reiter skizzierte, hatte er wie beiläufig gefragt, was Debera wohl am meisten am Herzen läge. Anscheinend vermochte ein
Drache mit jedem Menschen zu kommunizieren, wenn
ihm der Sinn danach stand.
Nicht immer erfuhr der jeweilige Reiter, dass sein
Drache mit einem Außenstehenden Kontakt aufnahm.
Von den Jungdrachen war Morath der Einzige, der mit ihm sprach, doch ihre Gefühle waren ihm ungeheuer wichtig.
Einmal bat Morath ihn, sich seine Zeichnungen ansehen zu dürfen. Dabei merkte er, dass der Block von jeder einzelnen Facette des Drachenauges reflektiert wurde. Normalerweise schimmerten die Augen eines Drachen in einem strahlenden Grünblau und kreisten
sachte in ihren Höhlen.
»Kannst du etwas erkennen?«, fragte Iantine.
Ja. Formen. Bringst du die Formen mit diesem Ding in deiner Hand auf das Papier?
»So ist es.« Wie viel mochte ein Drache mit seinen
hoch komplizierten Sehorganen erfassen? Iantine nahm an, dass diese Art von Auge nützlich war, wenn es galt, Fäden zu bekämpfen, die von allen Richtungen hernie-derprasselten. Und da ein Drachenauge vorgestülpt aus dem Schädel herausragte, erweiterte sich der Gesichts-kreis nach oben und unten.
Gutes Design. Aber die Drachen waren ja gentechnisch beeinflusste, künstlich konstruierte Geschöpfe, denen als Vorlage eine einheimische, viel kleinere Spezies gedient hatte. Heutzutage war die Wissenschaft der Gentechnologie allerdings verloren gegangen. Es war etwas völlig anderes, ob man Tiere für einen bestimmten Zweck auf natürlichem Wege durch Auslese
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