Drachenauge
einem offiziellen Gespräch mit Domaize höchstselbst abzuholen.
Iantine wusste nicht, was ihn mehr aufwühlte, der Ritt auf dem Drachen durch das Dazwischen , die Aussicht, Meister Domaize kennenzulernen oder die Möglichkeit, zum Berufskünstler ausgebildet zu werden.
Meister Domaize stellte ihm die Aufgabe, ein Selbst-porträt anzufertigen. Danach nahm er ihn als Studenten in sein Kollegium auf und schickte noch am selben Tag eine Botschaft an Iantines Eltern, in der er ihnen die Stu-dienbedingungen mitteilte.
Der Brief stürzte Iantines Familie in eine nicht unbeträchtliche Verwirrung. Und ihre Verblüffung wuchs, als die Burgherrin und der Lord von Benden sich bereiterklärten, mehr als die Hälfte der anfallenden Kosten zu begleichen.
Nun jedoch musste er möglichst viel Geld verdienen, und das recht bald, um seiner Familie zu zeigen, dass sie nicht umsonst so viele Opfer für ihn gebracht hatten.
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Mit Sicherheit würde Lord Chalkin ihm Schwierigkeiten machen. Er rechnete fest mit Scherereien. Doch das zugesagte Honorar deckte die Übertragungsgebühr für das Grundstück. Also unterschrieb er den Vertrag, eine Kopie wanderte zu Meister Domaizes Akten, und das Original ging an Lord Chalkin.
Auf Chalkins Wunsch hin schickte Meister Domaize
diesem ein Beglaubigungsschreiben, in dem er Iantines Befähigung als Künstler bestätigte. Erst dann sandte der Bitraner den von ihm gegengezeichneten Kontrakt zurück.
»Lies ihn dir lieber noch einmal gründlich durch,
Ian«, riet Ussie ihm, als Iantine triumphierend das Dokument schwenkte.
»Wieso?« Iantine blickte auf das Blatt und deutete auf die letzten Zeilen. »Hier ist meine Unterschrift, dort die von Meister Domaize, daneben die Signatur von Chalkin. Falls dieses Gekrakel sein Namenszug sein soll.« Er hielt Ussie das Blatt hin.
»Hmm, sieht echt aus, obwohl ich Chalkins Handschrift nicht kenne. Meine Güte, was für eine Schreib-maschine benutzen die denn? Die Hälfte der Buchstaben sind nicht voll angeschlagen oder auf einer Linie.«
Ussie gab ihm das Dokument zurück.
»Ich schau mal nach, ob sich in den Akten Beispiele von Lord Chalkins Unterschrift finden«, erklärte Iantine. »Obwohl mir nicht einleuchten will, warum er
einen Vertrag nicht anerkennen sollte, den er selbst auf-gesetzt hat.«
»Er ist ein Bitraner, und du weißt ja, was man denen nachsagt. Bist du auch sicher, dass es sich um deine Unterschrift handelt?« Ussie grinste verstohlen, als Iantine misstrauisch seinen eigenen Namenszug ins Auge fasste. Dann fing Ussie an zu lachen.
»Natürlich ist es meine Unterschrift. Sieh dir den
schrägen Querbalken im ›t‹ an. Genauso schreibe ich diesen Buchstaben auch. Worauf zielst du eigentlich ab, 146
Ussie?« Allmählich ging Iantine Ussies Unkerei auf die Nerven.
»Nun, die Bitraner sind als notorische Fälscher bekannt. Erinnerst du dich noch an den Schwindel mit
den Übertragungsurkunden für Grundstücke, der vor
fünf Jahren aufflog? Nein, davon wirst du nichts gehört haben, damals warst du noch ein Schuljunge.« Mit einem manierierten Fächeln der Hand wandte sich Ussie ab und ließ den verstörten und besorgten Iantine einfach stehen.
Als er das Thema mit seinem Meister besprach, kram—
te Domaize ein zerknittertes und ramponiertes Dokument mit Lord Chalkins Unterschrift hervor. Auch Domaize rückte sich die Brille vor die Augen und prüfte aufs Genauste seine eigene Unterschrift auf dem aktuellen Vertrag.
»Das ist zweifelsohne meine Handschrift, und auch
in Ihrer Signatur erkenne ich den schrägen Balken
durch das ›t‹.« Alsdann legte er das Schriftstück in den Korb, wo alle zu erledigenden Schreibarbeiten lande-ten. »Wir fertigen eine Kopie davon für Ihr Arbeitsbuch an. Sollte es trotzdem in Burg Bitra zu Zwistigkeiten kommen, geben Sie mir sofort Bescheid. Es ist nämlich das Einfachste, wenn man Problemen von Anfang an den Nährboden entzieht. Und hüten Sie sich …« – zur Betonung hatte Meister Domaize ihm ernst mit dem
Zeigefinger gedroht –, »an irgendwelchen Glücksspielen teilzunehmen, egal, wie überlegen Sie sich den Einheimischen dünken. Die Bitraner leben vom Glücksspiel. Mit solchen ausgebufften Profis können Sie nie und nimmer mithalten.«
Iantine hatte feierlich gelobt, sich auf keine wie auch immer gearteten Torheiten einzulassen. Spiele hatten ihn noch nie gereizt, viel lieber beschäftigte er sich damit, die einzelnen Spieler zu skizzieren. Doch das Glücksspiel war
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