Drachenauge
wird ein paar Tage dauern, bis du dich in Burg Bitra zurechtfindest. Chalkin ist so geizig, dass kein ordentlicher Koch bei ihm bleibt, das Gleiche gilt für Haushälterinnen, Verwalter und anderes Personal. Am Ende wirst du dir gar deine Mahlzeiten selbst zubereiten müssen … und dann kann es dir passieren, dass er dir das Brennmaterial für das Herdfeuer berechnet. Die Festung besitzt keine Zentral-heizung, und um diese Jahreszeit braucht man in der Gegend ein beheiztes Zimmer. Ach, und vergiss nicht, dir eine Bettdecke aus Fell mitzunehmen, für Gelegenheitsarbeiter stellt er nämlich keine Zudecken zur Verfügung …«
»Gelegenheitsarbeiter? Ein Porträtist aus dem Institut Domaize ist doch wohl kein Faktotum«, erwiderte Iantine ärgerlich.
»In Bitra, mein Freund, ist jedermann Tagelöhner«,
warf Chomas ein. »Chalkin hat in seinem ganzen Leben noch keinen reellen Arbeitsvertrag ausgestellt. Und lies jedes einzelne Wort , falls du wirklich so dumm bist, den Auftrag anzunehmen. Ein Mensch, der nur halbwegs bei Trost ist, würde im Traum nicht daran denken, freiwillig zum Arbeiten nach Bitra zu gehen.« Chomas
nickte noch einmal bekräftigend und begab sich an seinen Platz zurück, wo er mit herrlichen Holzeinlege—
arbeiten beschäftigt war.
Allerdings hatte Iantine einen ganz besonderen
Grund, sich die in Aussicht gestellten Marken zu verdienen. Mit seinem Diplom als Kunstschaffender in der Hand, wollte er nach und nach seine Schulden bei seinen Eltern abzahlen. Sein Vater hätte gern das Land in Anspruch genommen, das Iantine von Rechts wegen 143
zustand, um die Weidegründe für das Vieh zu erweitern, doch ihm fehlten die Marken für die Übertragungsgebühren. Es war keine immense Summe, doch
Iantines große Familie hätte sich sehr einschränken müssen, um sie aufzubringen. Für Iantine war es eine Frage des Stolzes und der Selbstachtung, seinem Vater finanziell auszuhelfen.
Seine Eltern hatten ihm einen guten Start ins Berufs-leben ermöglicht; in Anbetracht dessen, wie selten er seit seinem zwölften Geburtstag zu Hause weilte, hatte er so viel Rücksichtnahme gar nicht verdient.
Seine Mutter wollte, dass er Lehrer würde, denn auch sie hatte vor ihrer Heirat unterrichtet. Sie brachte ihm, ihren anderen Kindern und den jungen Leuten aus den umliegenden Gehöften in den Benden-Bergen das erforderliche Grundwissen bei. Und weil er nicht nur gern lernte, sondern auch beträchtliches Talent in der Skiz-zenmalerei zeigte – jeden Zoll seines kostbaren Malblocks füllte er mit Studien des alltäglichen Lebens auf dem Lande – entschied man, ihn aufs Kollegium zu schicken. Seine Mithilfe auf dem Hof würde man vermissen, doch zögernd räumte sein Vater ein, dass der Bursche besser mit Block und Bleistift umzugehen verstand als mit einem Hirtenstab. Sein jüngster Bruder, der viel eher zum Landwirt taugte, übernahm mit Begeisterung Iantines häusliche Pflichten.
Im Kollegium erkannte man sofort seine ungewöhnliche Begabung und sein Kunstverständnis und förderte ihn nach Kräften. Meister Clisser hatte darauf bestanden, dass er eine Mappe mit Skizzen anfertigte – aus den Bereichen Flora, Fauna und Mineralien. Für Iantine ein Kinderspiel, da er bereits sämtliche Aspekte seiner früheren Umgebung zu Papier gebracht hatte.
Außerdem bereitete es ihm ein besonderes Vergnü-
gen, seine ahnungslosen Kommilitonen zu zeichnen,
mitunter sogar im Unterricht, wenn seine Aufmerksamkeit anderen Studien hätte gelten müssen. Vor allem 144
eine Skizze war ihm ausgezeichnet gelungen – es war Meister Clissers Lieblingsbild –, in der er Bethany beim Gitarre spielen darstellte. Hingebungsvoll, leicht
vornübergebeugt, interpretierte sie ein schwieriges Musikstück. Jeder hatte das Bildnis bewundert, auch Bethany selbst.
Seine Mappe wurde mehreren privaten Schulen für
Kunsthandwerk vorgelegt, wo man die unterschiedlichsten Fertigkeiten erlernen konnte, angefangen von hoch qualifizierter Kürschnerei bis hin zur Weiterverar-beitung von Holz, Glas und Stein. Kein Institut an der Westküste konnte einen zusätzlichen Studenten aufnehmen, doch die Frau, die in Süd-Boll die Funktion einer Meister-Weberin ausübte, versprach, Meister Domaize in Keroon zu verständigen, einen der berühmtesten Porträtisten auf Pern, denn sie fand, das wahre Talent des jungen Mannes läge in dieser Richtung.
Zu Iantines Verblüffung erschien eines Tages ein grü-
ner Drache vor dem Kollegium, um ihn zu
Weitere Kostenlose Bücher