Drachenblut
»Wie dem auch sei, ich muss jetzt wieder ins Archiv zurück und die Aufzeichnungen sichten.« Er drehte sich um und steuerte auf den nächsten Treppenaufgang zu.
»Du hast es gerade nötig, andere darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich überarbeiten!«, rief Mâtal ihm nach. Der Heiler blickte über die Schulter, grinste schief, und die Männer winkten einander lässig zu.
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»Und es gibt überhaupt keine Feuerechsen mehr?« Staunend wandte sich Meisterharfner Zist an Harfner Jofri. Der nickte bekümmert.
»Ich habe gehört, dass die Weyr sie aus ihrem Umkreis verbannten«, erklärte Bemin, der Burgherr von Fort. »Aber ich glaube, zu diesem Zeitpunkt waren sie bereits ausgestorben.«
Er selbst hatte seinen wunderschönen braunen Jokester verloren. Doch nachdem seine Frau und seine Söhne bei der Pest umgekommen waren, vermochte er den Verlust seiner Feuerechse â so schmerzhaft dieser auch sein mochte â relativ gut zu verkraften. Die wahre Tragödie trat erst ein, als sein einziges überlebendes Kind, die kleine Fiona, ihre goldene Feuerechse, Fire, verlor, und er seine verzweifelte Tochter trösten musste.
»Manche Leute sagen, die Drachenreiter seien eifersüchtig auf die Feuerechsen gewesen und hätten sich obendrein von ihnen belästigt gefühlt«, sagte Nonala, die als Gesangslehrerin in der Harfnerhalle tätig war.
»Wahrscheinlich sucht man überall nach Schuldigen, weil man sich so ohnmächtig fühlt«, entgegnete Jofri. »Wenn man nervös und aufgebracht ist, neigt man zum Schwarzsehen und Nörgeln.«
»Die Sorgen der Menschen muss man Ernst nehmen«, hielt Bemin ihm entgegen. »Die Pächter und Handwerker, die in den Festungen arbeiten, zahlen nach wie vor die Zehntsteuer an die Weyr und fragen sich zu Recht, was sie dafür bekommen.«
Er holte tief Luft, um fortzufahren, doch plötzlich hob der Meisterharfner die Hand. Die anderen legten die Köpfe schräg und lauschten angespannt.
»Drachen? Tot?«, keuchte Nonala, als die getrommelte Nachricht eintraf.
»Ista, Benden, Telgar«, flüsterte Jofri.
»Bendens Königin«, ergänzte Jofri erschrocken.
Bemins Blicke wanderten stumm vom einen zum anderen. Es dauerte eine Weile, ehe er die Sprache wiederfand. Als er dann zu reden anfing, tat er es mit der Inbrunst und dem Mitgefühl eines Mannes, der seine Frau und seine Kinder verloren hat. Er konnte den Schmerz der Reiter nachempfinden, deren Drachen verendet waren. Doch hauptsächlich äuÃerte er sich in seiner Eigenschaft als Burgherr, der der ältesten Festung auf Pern vorstand, und der sich trotz seiner persönlichen Trauer niemals um seine Pflichten herumgedrückt hätte. »Folgende Meldung soll in alle Richtungen ausgesendet werden: Ich, der Burgherr von Fort, werde alles in meiner Macht Stehende tun, um den Betroffenen zu helfen. Jedes Gesuch um Unterstützung â gleichgültig, wer es stellt, die Festungen oder die Weyr â wird von mir und meinen Leuten respektiert und beantwortet!«
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Am nächsten Tag um die Mittagsstunde, platzte Kindan in den Archivraum und rief Lorana atemlos zu: »Der Fort Weyr meldet, man hätte schwarzen Staub gesichtet!«
Lorana war mit dem Thema vertraut genug, um zu wissen, was dies bedeutete. Wenn Fäden bei groÃer Kälte abregneten, gefroren sie am Boden und zerfielen zu feinen schwarzen Flocken.
»Wann hat man den Staub gesehen?«
»Mâtal sagt, Kâliors Patrouillenreiter bemerkten ihn gegen Abend â wenn bei uns die Sonne im Mittag steht«, erklärte Kindan. »Wir können davon ausgehen, dass heute in neun Tagen ein massiver Fädenfall eintritt, und zwar von der Küste über den Weyr bis hin nach Bitra.«
Lorana unterdrückte ein Stöhnen und vergrub sich wieder in den Aufzeichnungen.
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Neun Tage später herrschte bereits früh am Morgen eine hektische Betriebsamkeit, als der Weyr sich auf den ersten Fädenfall vorbereitete. Lorana hatte Salina gerade einen mit Fellis-Saft gewürzten Trunk verabreicht, der die Weyrherrin in einen tiefen, aber unruhigen Schlaf fallen lieÃ, als der Alarmruf ertönte: Fädenfall! Fädenfall längs der Küste!
Arith wurde unsanft aus ihrem leichten Schlummer gerissen, und Lorana vergeudete kostbare Minuten damit, ihren aufgeregten Drachen zu beruhigen, ehe
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