Drachenblut
ihn so ruhig, dass er aufhörte zu schimpfen, derweil eine rasche Untersuchung ergab, dass er sich die Elle zwischen dem Ellenbogen und dem Handgelenk gebrochen hatte.
»Es hätte schlimmer ausgehen können«, meinte Colfet, als sie ihm das Ergebnis mitteilte. »Und jetzt bin auch ich in der Lage, das Wetter vorherzusagen.«
»Du wirst jetzt mit mir in meine Kabine kommen â dort werde ich den Bruch schienen«, erklärte Lorana bestimmt.
Tanner blickte alarmiert drein. Er gewahrte einen Seemann, der gerade das Deck betrat, und rief ihm zu: »Gesten, Colfet hat sich den Arm gebrochen. Hilf ihm nach unten, damit Lorana ihn verarzten kann.«
»Das ist nicht nötig, ich schaffe es allein!«, protestierte Colfet und stützte sich mit dem gesamten Körpergewicht auf Lorana, die vor Ãberraschung ganz baff war. »Lorana ist ein kräftiges Mädel, wir kommen
schon zurecht. AuÃerdem braut sich ein Wetter zusammen â jeder Mann wird gebraucht, um die Segel zu trimmen.«
Den massigen Seemann nach unten in ihre Kabine zu bugsieren war anstrengender, als Lorana gedacht hatte, doch hinterher fühlte sie sich, als hätte sie der gesamten Mannschaft bewiesen, dass sie »ein ganzer Kerl« war.
In der Kabine schob sie ihre Tasche an das hintere Ende des Tisches und stöberte in den Schränken nach Bandagen und anderen Dingen, die sie benötigte.
Als sie alles beisammen hatte und sich Colfet gegenüber hinsetzte, um seinen Arm zu richten â vermutlich ein Kinderspiel verglichen mit der kniffligen Arbeit, Grenns Schwinge zu schienen â fiel ihr der intensive Blick auf, mit dem er sie musterte. Sie merkte, wie sie unter seiner Beobachtung rot wurde, und mit brennenden Wangen schickte sie sich an, behutsam den Hemdsärmel hochzukrempeln, um die Bruchstelle freizulegen.
»Du hast sanfte Hände«, lobte Colfet sie. Lorana schielte ihn verstohlen an, um seine Miene zu deuten. Als ihre Blicke sich unversehens kreuzten, schoss ihr abermals das Blut in die Wangen; hastig senkte sie die Lider und widmete sich ihrer Arbeit.
»Du hast Glück, dass es kein offener Bruch ist.« Vorsichtig tastete sie die verletzte Stelle ab. Colfet zuckte zusammen. »Es tut mir Leid, aber Taubkraut hilft jetzt nicht mehr.«
»Fellis auch nicht«, ergänzte Colfet grimmig und strich sich mit der freien Hand eine weiÃe Locke aus der Stirn. Mit einem schmerzlichen Zischen sog er den Atem ein. »Egal, tu, was du tun musst, Mädel. Um mich abzulenken, sehe ich mir derweil deine Zeichnungen an, wennâs recht ist.«
Lorana hatte vergessen, dass sie ihre Bilder in der Kabine aufgehängt hatte, damit sie in der klammen Seeluft nicht verdarben. Die Mannschaft und Kapitän Tanner hatten sie gedrängt, so viele Skizzen anzufertigen, dass ihr beinahe das Papier ausgegangen war. Aber es hatte ihr Spaà gemacht, die von den Männern vorgeschlagenen Motive zu zeichnen; die Reise auf der Windreiter hatte sie zu vielen neuen Bildern inspiriert. Sie porträtierte den mürrischen Baror, den brummigen Minet, und fertigte eine Menge Zeichnungen von Kapitän Tanner an â der, wie Lorana sich insgeheim eingestand, ein sehr gutaussehender Mann war.
Von Colfet hatte sie lediglich ein einziges Bild angefertigt, sie hatte die Szene festgehalten, wie er einen Fisch fing. Diese Skizze gehörte nicht zu ihren besten, denn sie musste sich zu sehr beeilen, um die Aktion zu Papier zu bringen, doch der alte Fahrensmann war von seinem Konterfei so beeindruckt gewesen, dass er seinen Fisch vergaà in dem Bemühen, einen sicheren Aufbewahrungsort für das Bild zu finden.
»Eine wunderschöne Skizze«, hatte er sich damals bedankt.
Während Colfet sich eingehend den Zeichnungen widmete, konnte Lorana in aller Ruhe ihre Arbeit auf die Bewegungen des Schiffs abstimmen, das sich im starken Wellengang hob und senkte. Sie blickte abwechselnd Colfet und die Bruchstelle am Arm an, wartete, bis ihr der Zeitpunkt günstig erschien, und zog mit einem schnellen Ruck die verschobenen Knochen auseinander â¦
»Aaaaaah! Splitter und Scherben, Mädel, willst du mir den Arm noch einmal brechen?«, brüllte Colfet, dessen Gesicht vor Schmerzen rot angelaufen war. Im Schlingern des Schiffs hatte Lorana versehentlich die Knochen übereinander gerammt.
»Entschuldige bitte!«, jammerte Lorana mit Tränen in den Augen.
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