Drachenboot
uns schließlich aufgerappelt hatten, stolperten wir noch lange in der trostlosen weißen Umgebung umher und wussten nicht zu sagen, ob seit unseren letzten Gesprächen ein paar Stunden oder bereits ein ganzer Tag vergangen war.
Ich war über und über mit Reif bedeckt, der jetzt aus Kleidung, Bart und Haar bröckelte, als ich die übrigen Eingeschworenen anstieß, anknurrte und zuweilen anbrüllte,
um sie auf Trab zu bringen. Zwei Männer waren erfroren, aber den Göttern sei Dank keiner von meinen Leuten. Sie hatten sich zum Schlafen zusammengerollt, und es war unmöglich, sie zu strecken, um ihnen das wenige Wertvolle, was sie am Leibe trugen, abzunehmen.
Ref Steinsson, der seine Seekiste nach weiteren Sachen durchsuchte, die ihn warm halten könnten, zeigte uns, was aus den dünnen Zinnplättchen geworden war, die er mitgenommen hatte, um Töpfe zu reparieren. Verwirrt starrten wir auf das graue Pulver, zu dem sie in der Kälte zerfallen waren.
Wir zündeten Feuer an. Ich würgte etwas Hafer hinunter, eingeweicht in Schmelzwasser – die Pferde bekamen dasselbe –, und wir rüsteten uns für den Tag. Als die rote Morgensonne zur Hälfte über den Rand der Welt geklettert war, standen wir bereit, eine wilde, hohläugige Bande mit eingefallenen Gesichtern, über die das Wasser lief, das unterm Helm und in den Bärten schmolz. Wir sahen aus, als würden wir es nicht einmal bis zum Tor schaffen, vom Erstürmen ganz zu schweigen.
Noch schlimmer stand es um die Auserwählten, zu denen ich gehörte. Wir hatten unsere Kettenhemden und so viel Kleidung wie möglich ausgezogen, bis wir nichts weiter als Tunika, Hose, Helm und Stiefel am Leib hatten. Die Kälte biss unbarmherzig zu, und wir stampften zitternd mit den Füßen, und wäre unser Kampfeswille nicht gewesen, der heiß in uns loderte, wären wir alle schon blau und erfroren gewesen.
Dobrynja ritt mit dem kleinen Wladimir voran, der jetzt seine versilberte Rüstung und seinen Helm mit dem Federbusch trug, von Kopf bis Fuß ein Krieger im Kleinformat. Sigurd führte sechzig Reiter an – es waren die letzten sechzig Pferde, die noch einen Mann mit Rüstung tragen
konnten. Sie ritten in einem großen Bogen zum Tor auf der hinteren Seite, eine Taktik, die die Verteidiger von dem anderen Tor ablenken sollte, das uns am nächsten lag. Olaf ritt mit ihnen und winkte fröhlich.
Der Rest der Druschina wartete, zu Fuß und mit schussbereiten Bogen, in einer Reihe hinter den Eingeschworenen. Hinter dem Tor hörte man Hammerschläge; die Verteidiger bereiteten sich vor. Meine Sorge war, dass sie von innen einen Balken vor das Tor nagelten, was unser Vorhaben noch weiter erschweren würde.
»Ein guter Morgen, um zu sterben«, erklärte Wladimir ernst, zweifellos eine Redensart, die er von seinem Vater gehört hatte. Ich antwortete nichts darauf, denn das war nicht gerade geeignet, den Kampfgeist unserer durchgefrorenen Männer anzuheizen, außerdem hätte man, wenn ich den Mund aufgemacht hätte, nur mein Zähneklappern gehört.
»Los geht’s«, erklärte Dobrynja.
»Jawohl, los geht’s«, sagte Wladimir und brachte seinen kleinen Speer in Stellung. Dann hoben beide ihren Schild, trieben ihre Pferde an und galoppierten direkt auf das Tor zu.
Man kann über Wladimir sagen, was man will – und es wurde später viel über ihn gesagt, geschrieben und erzählt –, aber Mut hatte er. Es war Dobrynjas Idee gewesen, um herauszufinden, wie viele Bogenschützen die Verteidiger hatten, und er wollte es eigentlich im Alleingang machen, wie ich später hörte. Ein kurzer Galopp, den Speer aufs Tor geschleudert – das war die traditionelle Art, eine bedingungslose Belagerung anzukündigen –, dann im Galopp zurück in Sicherheit.
Wladimir wollte sich am Kampf beteiligen, und bewies damit einmal mehr auch seine Klugheit, denn sein Mut
beeindruckte die Männer. Nach dem Gesichtsverlust, den er am Vortage Farolf gegenüber hatte hinnehmen müssen, waren alle zunächst ziemlich niedergeschlagen gewesen.
Nun galoppierte er den Wall hinauf, schleuderte seinen kleinen Speer über die Palisaden und schrie mit seiner Kinderstimme, die sich vor Aufregung überschlug: »Idu na vy!«
Die Druschina waren hingerissen. Idu na vy. Ich komme – das war der Schlachtruf seines Vaters gewesen, den er seinen Feinden entgegenzuschleudern pflegte. Wladimirs Männer brüllten vor Begeisterung so laut, dass es auf die Eingeschworenen übergriff und sie von der Hochstimmung angesteckt
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