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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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einen Kampfschrei ausstoßend, hinterher.
    Jetzt drehte ich mich zum Tor um – und erstarrte. Der Balken war da, wie erwartet, aber daran hing ein Mann, an den ausgebreiteten Händen festgenagelt wie der weiße Christus – die rechte an dem Balken, die linke an dem Pfosten. Er war Thorstein Dorschbeißer, sein Blut tropfte, und er sah mich mit seinem verschwollenen Gesicht an. Farolfs grausamer Scherz. Das Hämmern, das wir gehört hatten.
    »Zum Tor!«, schrie Finn, während Runolf Hasenscharte, der gerade über die Palisade kam, an seine Seite rannte, um die Verteidiger abzuwehren, die mit Speeren, Schilden und Äxten bewaffnet waren. Irgendjemand fluchte und geiferte auf dem oberen Querbalken des Tores, aber ich nahm ihn kaum wahr.
    Dorschbeißer und ich sahen uns an, seine blauen Augen glitzerten wie ein Sommersee. Er grinste mich mit blutigem Mund an, und mir war, als zwinkerte er mir zu, aber eines seiner Augen war so zugeschwollen, dass ich mich vielleicht getäuscht hatte.
    Die Zeit schien sich zu einer Ewigkeit zu dehnen, aber in Wirklichkeit dauerte es nicht länger, als ich brauchte, um tief Luft zu holen und mit angehaltenem Atem Dorschbeißers rechte Hand abzuschlagen. Sie wurde am Handgelenk abgetrennt, etwas schräg und leider auch zu weit oben, sodass ein Stück vom Unterarm mitkam. Ich war nicht sehr geschickt mit der Axt, außerdem musste ich es mit der linken Hand machen, an der ich nur drei Finger hatte.
    Mit meiner rechten Hand hatte ich die andere Axt unter den Balken geklemmt und brüllte vor Anstrengung, um ihn hochzuheben. In dem Moment fand ich es gar nicht so schwer, er ließ sich anheben und löste sich wie geschmiert aus der Halterung, die Torflügel flogen nach innen auf und nahmen Dorschbeißer mit, der noch immer an den rechten
Torpfosten angenagelt war. Thor musste mir Kraft geschickt haben, denn meine Armmuskeln schmerzten noch wochenlang hinterher. Selbst Finn war beeindruckt, denn es waren zwei Männer nötig, um den Balken zu heben.
    Ich fühlte nichts in diesem Moment. Ich versuchte nur, Dorschbeißer so vorsichtig wie möglich vom Torpfosten abzulösen, wobei ich ihn von unten stützte, damit seine verbleibende Hand nicht vom eigenen Gewicht zerrissen wurde.
    Ich merkte, dass Männer durch das geöffnete Tor kamen, schreiend, brüllend, stechend, hauend und fluchend, aber ich beteiligte mich nicht daran und tötete niemanden. Selbst als der Mann mit dumpfem Aufschlag und einem knackenden Geräusch vom oberen Torbalken fiel, sah ich ihn kaum an, bis er anfing, sich vor Schmerz zu winden und zu schreien, schrill wie ein verletztes Pferd. Inzwischen hatte ich den Nagel aus seiner Hand gezogen, aber Dorschbeißer blutete so stark, dass ich mich darauf konzentrierte, seine Arme abzubinden, und den schreienden Mann vergaß.
    »Ich kümmere mich jetzt um ihn, Jarl Orm«, sagte eine bekannte Stimme. Ich kniete in einer Pfütze von blutigem Schlamm und sah auf, und aus dem verschwommenen Oval, das ich nur undeutlich wahrnahm, wurde langsam Thorgunnas Gesicht. Sie lächelte traurig und kniete sich neben mich. Das Kämpfen war schon vorbei.
    »Ich mach das schon«, sagte sie, und ich nickte. Ich stand taumelnd auf und merkte, wie Dorschbeißers Blut an meinen Knien gefror.
    »Ein außergewöhnlicher Kampf«, sagte eine Stimme, und ich sah mich um, wo Dobrynja auf seinem mageren, müden Pferd saß. Er hob salutierend den Säbel. Der junge Prinz, ganz der triumphale Sieger, trabte natürlich schon
um den Dorfplatz und verlangte, dass man Farolf zu ihm bringe.
    Doch Farolf war tot – Gyrths Langaxt steckte so tief in seiner Brust, dass Finnlaith und Glum Skulasson Mühe hatten, sie mit vereinten Kräften herauszuziehen. In der Nähe kniete Finn neben Hasenscharte, der vom Turm aus zwei Pfeile in den Rücken bekommen hatte, ehe man die Bogenschützen hatte töten können.
    »Farolf? Er ist tot?«, kreischte Wladimir enttäuscht. »Nun, er soll trotzdem gepfählt werden.«
    Gyrth hustete, aber es klang eher wie das Grunzen eines gereizten Bären.
    »Er gehört mir. Ich habe ihn getötet. Er wird zu Füßen von Runolf Hasenscharte liegen.«
    Finn, der bisher wie abwesend dagelegen hatte, reckte sich blinzelnd, dann nickte er Gyrth zu und streckte den Arm aus, um sich vom Felsenbruder auf die Füße ziehen zu lassen. Sie beide sahen den Prinzen ernst und entschlossen an.
    Wladimir verzog ärgerlich das Gesicht, dann sah er Finns düstere Miene und war klug genug, nachzugeben – wofür man

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