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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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aufhörte, uns im Näherkommen etwas zuzuschreien, was uns schließlich vom Wind zugetragen wurde.
    »Der buran kommt!«
    Wir hatten gerade noch Zeit, uns in Sicherheit zu bringen, dann brach es über uns herein, ein Eissturm mit der Wucht scharfer Peitschenhiebe und einem Heulen wie von rasenden Walküren.
    In größter Eile spannten wir die Ponys aus und zerrten und schoben sie in die V-förmige Balka, die mehr als drei Mann tief war und so steil abfiel, dass die meisten von uns auf dem Arsch hinunterrutschten. Diejenigen, die zu langsam waren, wurden von fliegendem Eis getroffen und stöhnten vor Schmerz, ebenso die Pferde, deren Flanken bluteten. Wir drängten uns so dicht wie möglich zusammen, Menschen und Tiere, während die Welt um uns in entfesselter Wut brüllte.
     
    Wie Gelächter tanzte das Licht auf dem Wasser, die Gischt flog gegen die Schären, und auf dem Langschiff, das in der Bucht vor dem Strand lag, war emsiges Treiben. Ich sah den Jungen, der im Windschatten des Schiffes stand, bis zur halben Wade im Wasser, ein Bündel an sich gedrückt, die Schuhe um den Hals gehängt.
    Jemand lehnte sich aus dem Schiff und rief ihm mit ärgerlicher Stimme etwas zu. Ein anderer streckte ihm helfend die Hand entgegen, er ergriff sie und wurde an Bord gezogen. Die Ruder kamen heraus, tauchten ein, und es glitzerte, der Drachen flog den Fjord hinab.
    Ich. Das war ich, der zusammen mit Einar dem Schwarzen und den Eingeschworenen an Bord der Fjord Elk Björnshafen verließ. Ich war so jung …
    »Fünfzehn«, sagte der einäugige Mann. Er war hochgewachsen, und unter dem mitternachtsblauen Umhang strahlte er eine Stärke aus, die von bestandenen Herausforderungen zeugte. Von seinem Körper war außer einer Hand nicht viel zu sehen, sie war mit einem Handschuh bekleidet und hielt einen Stab.
    Mit seinem klaren blauen Auge sah er mich an, sein Blick war durchdringend. Das Gesicht war von welligem grauem Haar umrahmt, auf dem er einen breitkrempigen Hut trug. Ich kannte ihn.
    »Allvater«, sagte ich, und er lachte leise. Einauge, Graubart, Vernichter, der Wütende, der Rasende.
    Odin.
    »Nur zum Teil und zugleich alles davon«, antwortete er. Er nickte beifällig über das, was er sah – das Bild schwankte und flimmerte, als streiche ein plötzlicher Wind darüber, wie ein Spiegelbild im Teich.
    »Der weiße Christenpriester mit Gudleif«, sagte er, und ich sah den Kopf auf dem Pfahl, der Kopf, der einst Gudleif gewesen war, der mich als sein Pflegekind großgezogen hatte. Caomh, der irische Sklave, der einst Priester gewesen war – einmal Priester, immer Priester, wie er zu sagen pflegte –, stand neben der Verwüstung, die Einar dort angerichtet hatte, und sah uns nach, wie wir davonruderten.
    »Nachdem Gudleifs Söhne gestorben waren, wurde Björnshafen Teil des Gewebes. Der Priester des weißen Christus hatte es geschafft, dass sie jetzt alle dem einen Gott folgen.«
    Er sagte es mit Bitterkeit, der Vater der Asen. Warum hat er diesen weißen Christus geduldet, diesen Jesus aus dem warmen Süden? Schließlich war er Odin …
    »Wir müssen das dulden, was die Nornen weben, selbst wenn es um Götter geht«, antwortete er. »Die alten Schwestern werden müde, vielleicht wollen sie ihren Webstuhl stilllegen und können es nicht eher tun, als bis die Dynastie der Ynglinger ausgestorben ist.«
    Es war eine lange Dynastie. Krähenbein, Urgroßenkel von Harald Schönhaar, gehörte auch dazu. Wollten die Nornen ihn etwa auch töten?
    Einauge schwieg, was mich ärgerte. Man sollte annehmen, ein Gott wüsste über diese Dinge Bescheid, besonders über einen Rivalen wie diesen Christus.
    Er knurrte unwillig. »Ich weiß genug, um zu wissen, dass genug nicht genug ist. Ich weiß genug, um zu wissen, was ich nicht tun darf, und das ist wahre Weisheit.«
    Etwas rumpelte, tief wie Donner, und ein grauer Keil schob sich aus dem Dunkel hervor. Wie Bernstein im Fels sahen mich die Augen an, und aus dem grauen Maul drangen Dampfwölkchen, als der Wolf den Handschuh des Gottes leckte.
    »Siehst du, Freki«, sagte der Einäugige, »sie kommt zurück.«
    Etwas Schwarzes, Zerzaustes kämpfte sich im Wind voran, flatternd und hüpfend kam es tiefer, bis es auf seiner Schulter landete. Mit schwarzen Augen sah es mich unverwandt an, dann beugte es sich vor und knabberte am Ohr des Einäugigen, der nickte.
    Munin, der über die ganze Welt fliegt und sich mit seinem kleinen gefiederten Kopf alles merkt, war mit seinem Schnabel, der

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