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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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missbraucht hatten. Und so hatte sie uns zu Attilas Grab geführt, als Gegenleistung für den Tod von Vigfus und seinen Männern.
    Dafür hatten wir gesorgt, und dann hatte Hild ihren Teil der Abmachung erfüllt – und dafür bezahlt, indem sie ihren Verstand verlor. Hatte die Göttin der Steppe sie in den Wahnsinn getrieben? Oder war es die Fylgja von Ildiko? Oder das Schuldgefühl, weil sie all jene verraten hatte, die das Geheimnis bis in den Tod bewahrt hatten?
    »Vielleicht alles zusammen«, meinte Amacyn und stand langsam auf. »Es ist nicht mehr wichtig, das Geheimnis wurde entdeckt. Sie hatte den Eid gebrochen.«
    Und alle, die einen solchen Eid brechen, müssen sterben. Das wusste auch ich nur zu gut.
    »Nachdem ihr damals von hier fortgezogen wart«, fuhr Amacyn fort, »kamen die wenigen von uns, die noch lebten, hierher; aber in der Steppe herrschte Krieg, und es
dauerte einige Zeit, bis wir alle wieder versammelt waren, deshalb konntet ihr entkommen.«
    Ich schluckte. Wenn sie uns damals eingeholt hätten, als wir uns völlig erschöpft auf den Weg zum Schwarzen Meer gemacht hatten …
    »Dann war die chasarische Herrschaft zu Ende«, fuhr sie fort, »und schließlich kamen auch die Letzten von uns wieder hierher. Wir mussten uns Zugang durch das Dach verschaffen, um zu sehen, was geschehen war. Wir sahen einen fremden Toten auf dem Thron, und der Herr der Welt lag am Boden, dann sahen wir noch weitere Tote, darunter eine Frau. Sie hatte eins der Schwerter, die dem Herrn gehört hatten, und wir dachten uns, dass einer von den Überlebenden das andere haben müsse.«
    Ich konnte nichts sagen. Hild war also wirklich tot, Finn hatte recht gehabt. Und plötzlich wurde mir klar, was diese Frau wollte.
    »Ja«, sagte sie, obwohl ich kein Wort gesagt hatte. Dann seufzte sie und rieb die Frostbeulen an ihren Händen, und mir wurde klar, dass sie in demselben jammervollen Zustand war wie ich – wie wir alle, hier draußen in dieser eisigen Wildnis.
    »Wir sind die Letzten unserer Art«, fuhr sie fort. »Es ist mein Schicksal, dass es zu meiner Zeit geschah, dass das Geheimnis des Grabes bekannt wurde. Wir wussten, dass ihr zurückkommen würdet, und warteten auf Nachricht, dass Nordmänner übers Grasmeer kämen. Es war kein Leichtes für uns, hier herauszukommen und sie zu töten, aber wir hatten nicht mit noch mehr Männern gerechnet und ganz bestimmt nicht mit dem Prinzen von Nowgorod. Da wussten wir, dass unsere Zeit vorüber war.«
    Schweigend stand sie da, starr wie die gelben Halme des gefrorenen Steppengrases. Ihre Augen tränten.
    »Wir sind nur noch wenige und werden immer weniger«, sagte sie mit einer Stimme wie ein dschinn im Wind. »Ihr nennt uns Männerhasser, aber das ist nicht richtig. Wir haben Väter und Brüder, und einige von uns haben Männer und Kinder, die sie lieben. Zu viele von uns sind schon gestorben. Wir konnten das Geheimnis nicht bewahren, und dieser Kampf in der Steppe war das Ende für uns. Wir verlassen die Welt. Wir werden heimgehen zu den Männern. Wir werden aufhören, die Köpfe unserer Töchter zu verformen und ihnen die Wangen zu zerschneiden, noch ehe wir sie säugen – um ihnen zu zeigen, dass Narben nie vergehen. Aber einen letzten Dienst können wir dem Herrn der Welt noch erweisen.«
    Die Worte trafen mich wie flatternde Rabenflügel. Wir verlassen die Welt. Vielleicht verlassen ja alle Eingeschworenen die Welt, dachte ich. Und jetzt war sie gekommen, um über eine Möglichkeit zu beraten, die Sache ohne weiteres Blutvergießen zum Ende zu bringen. Das verstand ich nur zu gut.
    Auf diese Weise waren die Eingeschworenen schon einmal in der Nähe von Attilas Grab gerettet worden, und ich hielt es für möglich, dass es uns wieder gelingen würde. Ich sah mein Schwert an, dann die Frau, der es mehr bedeutete als alle Schätze der Welt. Jetzt wusste ich auch, woher sie meinen Namen wusste und was sie glaubte, uns dafür anbieten zu können, aber dennoch fragte ich, der Form halber:
    »Was gebt ihr mir dafür zum Tausch?«

Als ich meine Frage gestellt hatte, steckte die Kriegerin zwei Finger in den Mund und pfiff, wie man einem Hund pfeift, worauf Reiterinnen erschienen, und neben einer von ihnen schleppte sich, mit einem Strick angebunden, eine Gestalt daher. Als sie näherkamen, setzte mein Herzschlag für einen Moment aus.
    Meine Vermutung war richtig gewesen: Es war der kleine Eldgrim.
    Er war klapperdürr, und als er grinsend den Mund aufmachte, sah man, dass

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