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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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er ein paar Zähne verloren hatte. Aber in seinem Kopf war offenbar noch ein Rest seines früheren Verstandes erhalten geblieben.
    »Ho, Orm, mein Junge. Wie kommst du denn hierher?«
    Die Frau namens Amacyn sah mich an.
    »Wäre das ein angemessener Tausch für dich?«
    Den kleinen Eldgrim in unserer Mitte, zogen wir unter den Augen der berittenen Kriegerinnen davon, deren Anführerin jetzt zwei Schwerter in den Händen hielt. Finn reichte mir eine Holzaxt. »Die wirst du vielleicht brauchen können, bis du zu einer besseren Klinge kommst, Jarl Orm«, grinste er.
    Mir wurde kalt ums Herz. Ich fragte mich, was jetzt aus mir werden sollte, denn ich war überzeugt, das Runenschwert hatte schützende Kräfte gehabt – und jetzt war es weg. Für immer. Es war leicht gewesen, es auszuhändigen; und doch war es die Klinge, die einst der Anlass gewesen
war, weshalb wir aus der Großen Stadt in die Gluthitze Serklands gezogen waren, und die uns angetrieben hatte, mit Männern auf Leben und Tod zu kämpfen, die einst unsere Rudergefährten gewesen waren.
    Die anderen hatten sich bereits in Bewegung gesetzt, aber ich war noch zurückgeblieben, weil ich sehen wollte, was die Frauen tun würden. Später holte ich die Eingeschworenen ein, aber ich ignorierte ihre fragenden Gesichter, und weil ich mein Runenschwert für sie geopfert hatte, bissen sie sich auf die Lippen und wagten keine Fragen zu stellen.
    Noch später, als wir schon weit weg waren, trug der Wind das jaulende Geheul der Kriegerinnen hinter uns her. In die Augen der Männer trat wieder Angst, dass die Frauen uns verfolgen könnten, aber als ich nicht darauf reagierte, beruhigten sie sich wieder.
    Nein, es kamen keine rachedurstigen Amazonen mehr hinter uns her. Ich wusste, was geschehen war, und sagte nichts, ich blieb in mich gekehrt und versuchte, so gut es ging, mich gegen den eisigen Wind zu schützen, bis wir eine felsige Hochebene erreichten, die dicht mit Kieferngebüsch und weißen Birken bewachsen war und über die wir das verschneite Grasmeer endlich verlassen konnten. Die Sonne am bleigrauen Himmel sah aus wie ein Tropfen aus flüssigem Metall.
    Vor uns lag, allerdings noch verborgen in der eisigen, glitzernden Marsch, der mächtige Tanais-Strom, wie die Skythen einst den Don nannten. Den Don hinunterzufahren war einst der Traum jedes jungen Mannes gewesen, es galt als ein kaum zu überbietendes Abenteuer. Doch in Wirklichkeit war eine Fahrt auf dem Don alles andere als eine Vergnügungsreise, was denn auch auf vielen Gedenksteinen nachzulesen war, die von trauernden Hinterbliebenen in der Heimat aufgestellt wurden.
    Ich sah mich nach Klepp Spaki um, eine dunkle, vor Kälte zitternde Gestalt. Wir würden nicht einmal einen Gedenkstein haben, denn wir hatten mit ihm den geschicktesten Runenschneider mitgenommen und der würde wahrscheinlich auch hier sterben.
    Ich kniff die Augen zusammen, die bei dem grellen Licht tränten. Wenn es schon mich so stark beeinträchtigte, war es kein Wunder, dass Kvasirs Auge noch stärker darunter litt, und ich verfluchte mich dafür, dass ich die Anzeichen dafür nicht früher bemerkt hatte.
    Weiter südlich, kurz bevor der Donez, der schwarze Bruder des Dons, sich ihm zugesellt und wo beide Flüsse sich in einem Gewirr aus tausend schlammigen Wasserläufen verästeln, lag Biela Viezha, das chasarische Sarkel. Wir waren nahe genug an der Stadt, um den Rauch ihrer Feuer zu sehen, und vor diesem Hintergrund kam eine einzelne dunkle Gestalt auf uns zugeritten.
    »Scheint allein zu sein«, sagte Finnlaith. »Soll ich schießen, wenn er in Reichweite kommt?«
    »Soll Fisch ihn sich angeln«, meinte Onund, was mit grimmigem Gelächter quittiert wurde.
    »Hier können wir uns nirgendwo verstecken«, sagte ich, »also hat er uns gesehen, genau wie wir ihn. Aber habt ihr den Eindruck, dass ihn das beunruhigt?«
    »Das können wir leicht ändern«, sagte Finn, doch er rührte sich nicht. Einen Augenblick standen wir still, dann sagte der kleine Eldgrim: »Es ist kalt hier.«
    »Ich weiß«, sagte Thordis leise. »Aber von jetzt an wird es immer wärmer werden.«
    Ich sah ihn mir an, die trüben und etwas desorientierten wasserblauen Augen in dem narbigen Gesicht – er war eingewickelt in Umhänge und Tuniken, die er von allen Seiten bekommen hatte, weil die Männer ihn als eine Art
Talisman für uns alle betrachteten. Als Thordis ihm die zerfetzte alte Tunika vom Leib gezogen hatte, hatte sie scharf die Luft eingezogen und uns

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