Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
Vom Netzwerk:
in einem Birkenhain standen, wo der Wind mit den dürren Zweigen spielte, »dass er von dem Jungen sprach, von Jon, denn der wurde auch gebracht, und sie schienen miteinander zu streiten.«
    »Er wollte Jon Asanes zurückholen«, sagte ich. Morut zuckte die Schultern.
    »Der Junge war kein Gefangener. Er war aus eigenen Stücken mit uns gekommen, er alberte mit Krähenbein herum und sprach davon, dass er mit seinem Anteil des Silbers in die Große Stadt gehen wollte.«
    Das hatte ich lange vermutet, aber jetzt, wo es mir bestätigt wurde, durchfuhr es mich wie ein Messer. Finn knurrte ärgerlich und schüttelte den Kopf, aber ich wusste nicht, ob aus Zweifel an Moruts Geschichte oder aus Abscheu über Jons Verhalten.
    »Dann stand Kveldulf auf und sagte etwas«, fuhr Morut fort. »Es gab einen Wortwechsel, und Dobrynja sagte zu Kvasir, er solle verschwinden, das hörte ich ganz genau,
denn ich war näher herangetreten. Jon Asanes beschwor Kvasir ebenfalls, zu gehen, ehe die Sache eskalierte.
    Kvasir sagte zu Jon Asanes, es würde Orm das Herz brechen, wenn er nicht mitkäme, und Kveldulf fing davon an, es sei wohl am besten, wenn Kvasir ebenfalls für immer dabliebe. Dafür verpasste Kvasir Kveldulf einen solchen Faustschlag, dass er krachend zu Boden ging. Und er sagte zu Kveldulf, er solle gefälligst das Maul halten, wenn Männer ernsthafte Gespräche führten.«
    »Heya«, warf Finn bewundernd ein. Mir wurde übel, weil ich wusste, was jetzt kommen würde.
    »Kveldulf sprang auf, er war außer sich«, fuhr Morut fort, »er zog sein Schwert, und sie gingen aufeinander los. Wladimir ermahnte sie, sofort aufzuhören, Dobrynja fluchte, und Sigurd rief nach der Druschina, sie sollten kommen und die beiden trennen. Aber es war auch klar, dass Kvasir kaum etwas sehen konnte, also brauchte Kveldulf sich nicht groß anzustrengen, er tötete ihn mit einem einzigen Hieb zwischen Hals und Schulter.«
    Finn stöhnte laut auf, und die anderen rutschten herum und stöhnten ebenfalls, als hätte dieser Hieb ihnen selbst gegolten.
    Wir saßen da wie betäubt, und ich brachte kaum die nächste Frage heraus. »Und dann?«
    Morut runzelte die Stirn. »Na ja, Kvasir lag da in seinem Blut, und Dobrynja seufzte und sagte, das wär’s wohl, aber Sigurds Gesicht war wie versteinert, er schüttelte den Kopf und meinte, sie würden jetzt bestimmt alle großen Ärger bekommen.«
    »Womit er völlig recht hat«, brachte Finn mühsam heraus. Er ballte die Fäuste und umklammerte seinen Godi so fest, dass seine wunden Stellen wieder aufplatzten und zu bluten anfingen.
    Morut sah unbehaglich in die Runde, und ich merkte, dass er den Rest der Geschichte am liebsten nicht erzählt hätte. Er sah mich an, schluckte mühsam und nickte.
    »Kveldulf kniete sich neben Kvasir hin, der noch nicht ganz tot war, und sagte zu ihm: ›Ich bin also ein Stein, ja?‹, was ich nicht verstand. Dann zog er sein langes Messer …«
    Morut unterbrach sich und sah in mein regloses Gesicht. Aber ich konnte es ihm nicht ersparen, er musste die Geschichte beenden.
    »Er stach ihm die Augen aus.«
    Finn wurde ganz still, was ich nicht erwartet hatte. Hauk sprang auf und fing an zu fluchen; der rote Njal schlug heulend auf den vereisten Boden, bis seine Fäuste bluteten, während der kleine Eldgrim wimmerte, obwohl er nicht genau wusste, warum – aber Finn blieb kalt und reglos wie ein Fels. Als ich seine Schulter berührte, merkte ich, dass er zitterte wie ein Pferd vor einem Kampf.
    »Was passierte mit Thorgunna?«, fragte ich, und Morut nickte trübsinnig.
    »Sie ließen seine Leiche draußen in der Steppe liegen«, sagte er, »und Kveldulf nahm die Augen und steckte sie in einen Beutel, den er am Gürtel trug, und sagte, Finns anderes Ohr würde irgendwann auch noch dazukommen und er würde, wenn es Thor gefiele, im Laufe der Zeit vielleicht einen ganz neuen Menschen aus den Einzelteilen der Eingeschworenen zusammensetzen.«
    Er sah mich nachdenklich an. »Dann sagte er, der letzte Teil würde dein Kopf sein«, schloss er vorsichtig.
    »Was ist mit Thorgunna?«, fragte ich wieder; ich hatte bei dieser Geschichte über Kveldulfs dumme Prahlerei kaum zugehört.
    Morut sah in die wütend blitzenden Augen in unserer Runde und fragte sich wahrscheinlich, ob er sich mit seiner
Erzählung nicht womöglich sein eigenes Grab schaufelte.
    »Wir waren erst ein paar Stunden am Flussufer«, sagte er, »suchten uns Schiffe und fingen an, sie zu beladen, als Thorgunna ankam.

Weitere Kostenlose Bücher