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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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Wir wussten natürlich, wer sie war, und sie ging sofort zu Wladimir und kniete vor ihm und bat ihn um die Augen ihres Mannes, also war klar, dass sie ihn schon gefunden und auch erfahren hatte, was passiert war. Der Prinz sah nicht sehr glücklich aus und sagte, es tue ihm leid, was geschehen war, denn das Töten eines Eingeschworenen sei nicht in seinem Sinn gewesen. Thorgunna wiederholte nur ihre Bitte, und der Prinz sah aus wie ein Hund, der gleich eine Tracht Prügel erwartet, denn um ihre Bitte zu erfüllen, musste er Kveldulf einen Befehl erteilen  – was er auch tat. Kveldulf war ziemlich erbost darüber, konnte aber nichts weiter machen, als Thorgunna den Beutel auszuhändigen, was er äußerst widerwillig tat.«
    Morut schwieg und sah in unsere grimmigen Gesichter.
    »Erzähl weiter«, befahl ich.
    Morut schüttelte traurig den Kopf. »Vielleicht wäre es besser, wenn ich …«
    »Heraus damit!« Finns Stimme war wie eine Ohrfeige, und Morut fuhr zusammen, dann nickte er.
    »Thorgunna sah Kveldulf furchtlos an, den Beutel in der Hand. Dann beugte sie sich vor und sagte etwas zu ihm, was ich nicht hören konnte – aber er wurde blass vor Zorn und schlug sie ins Gesicht.«
    Wieder gerieten alle in Aufruhr. Gyrth schwang seine Langaxt und hieb fluchend auf den gefrorenen Boden. Doch Finn blieb ruhig und sah nur einmal kurz hinüber zu Thordis, die noch immer weinte.
    »Sie fiel zu Boden, und er trat sie in den Bauch, ehe Sigurd ihn wegzerren konnte und ihn hinausstieß. Ich sah,
wie Jon Asanes zu Thorgunna ging, um ihr aufzuhelfen, und sie sagte etwas zu ihm, worauf er ebenfalls blass wurde und erstarrte, als ob man ihn geschlagen hätte. Sie stand allein auf, aber dann krümmte sie sich vor Schmerzen und fiel wieder hin; sie blutete und sagte nichts mehr.«
    »Ist sie tot?«, wollte Bjaelfi wissen.
    Morut schüttelte den Kopf. »Nein. Sie trugen sie auf ein Boot, das an Land liegt. Der kleine Krähenbein ist sich aber sicher, dass sie ihr Kind verloren hat. Er weinte, denn er sagte, das habe er bei seiner Mutter auch schon erlebt und er sei sicher, dass es derselbe Mann war, der es ihr angetan hatte.«
    Es war still geworden, langsam wurde es dunkel. Wir saßen da wie gelähmt, kaum fähig, einen Gedanken zu fassen. Schließlich machte Morut Feuer, und das Licht und die Wärme brachten uns langsam wieder in die Gegenwart zurück, als hätten wir alle geschlafen.
    Unnütz zu fragen, was als Nächstes passieren sollte; die kalte Wut hatte uns alle gepackt wie ein Nebel von Hel, der das Feuer flackern lässt. Thordis sprach aus, was wir alle dachten.
    »Odins Geschenk«, zischte sie. »Wie konnten wir uns nur einbilden, dass ausgerechnet wir dem Fluch von Fafners Silber entgehen würden?«
    »Wir bringen sie alle um!«, heulte Hlenni mit wutverzerrtem Gesicht. Der rote Njal aber legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.
    »Ein Feuer, das nur noch Asche ist, musst du nicht mehr löschen«, sagte er. Und leiser fügte er hinzu: »Wie meine Großmutter immer sagte.«
    Ich musste an meinen Traum denken, in dem Odin mir gesagt hatte, der Einäugige würde mir ein Opfer abverlangen; etwas, das mir lieb und teuer sei. Wie mit allen Versprechungen
dieses Verwandlungskünstlers war es nie das, was man vermutete; der Einäugige war nicht Odin, sondern Kvasir gewesen, und das Opfer war er selbst gewesen.
    Bis zu diesem Augenblick hatte ich nicht gewusst, wie sehr ich Allvater Odin hasste. Ich hasste ihn mit einem kalten, grausamen Hass, als wir Moruts Feuer austraten und wie jagende Wölfe über die Steppe trabten, die unter dem silbernen Mond glitzerte, als sei sie mit Schätzen übersät. Ich hasste ihn, als wir unter Moruts Führung Kvasirs Leiche fanden, um die Thorgunna sorgsam ihren blutigen Umhang geschlagen hatte.
    Ich konnte nicht – wagte nicht – in das augenlose Gesicht meines Freundes zu blicken. Wir wickelten ihn fest ein und verschnürten ihn, dann zogen wir ihn hinter uns her wie ein Bündel alter Felle. Niemand beklagte sich über die zusätzliche Last, denn wir hätten es nicht übers Herz gebracht, ihn als Beute für die Wölfe zurückzulassen.
    Als sich blass und frostig der Morgen ankündigte, hockten wir, noch immer fassungslos über Kvasirs Tod, in einem Gehölz aus Bäumen und dichtem Gebüsch nicht weit von der Wehrgrabenbrücke. Auf der anderen Seite der Brücke war das Dorf mit seinen Jurten, den gemauerten Häusern und umzäunten Höfen. Vereinzelt sah man ein schwaches Licht, und das

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