Drachenboot
es, dass er bei Mondschein seine Menschengestalt ablegte, daher sein Name: Nachtwolf. Finn brummte etwas und pickte sich ein paar leckere Brocken aus dem Topf, und Botolf sah ihn fragend an. Ingrid ermahnte ihn, gefälligst sein Holzbein vom Feuer fernzuhalten, weil es schon angesengt roch.
»Bist du anderer Ansicht, Finn Rosskopf?«, fragte Botolf gereizt und begutachtete sein Holzbein.
Finn wischte sich die Soße aus dem Bart, kaute fertig und schüttelte den Kopf.
»Ihr habt wohl alle vergessen, wer wir eigentlich sind«, sagte er barsch, das Gesicht rot vom Feuerschein. »Was würden wir denn machen, wenn wir in Klerkons Seestiefeln steckten?«
Niemand sprach. Botolf sah Kvasir an, der wiederum mich ansah, den Kopf zur Seite geneigt wie ein Vogel. Die Antwort wurde uns allen sofort klar, sodass wir fast gleichzeitig aufsprangen. Leibeigene schrien auf, und Thorgunna wollte augenblicklich wissen, was los sei, und griff nach dem Bratspieß.
»Zu spät«, verkündete Finn, als wir zur Tür rannten. »Ich war draußen. Wir können nichts mehr tun.«
»Warum bist du allein gegangen?«, schrie ich ihn an. Doch obwohl mir vor Schreck fast übel war, wusste ich, dass wir sowieso nichts hätten tun können. Kvasir huschte zur Tür hinaus, und Thorgunna beruhigte die heulenden Sklaven und wollte immer noch wissen, was eigentlich los sei. Auch Klein Cormac fing an zu brüllen mit hochrotem Kopf.
Kvasir kam zurück und brachte die regenfeuchte Luft mit ins Haus, die nach Holzrauch roch. Er nickte mir zu.
»Was ist los?«, schrie Thorgunna uns ungeduldig an. »Werden wir überfallen?«
Wir wurden nicht überfallen, noch würden wir zu einem späteren Zeitpunkt überfallen werden. Klerkon hatte das getan, was jeder Seeräuber getan hätte, dessen Plan nicht ganz zu seiner Zufriedenheit aufgegangen ist. Er hatte das Beste daraus gemacht.
Kvasir erklärte es Thorgunna, er streichelte sie und sprach leise und geduldig auf sie ein. Ich ging hinaus, es roch nach Regen und feuchter Erde, und der Wind trieb große Wolken am Mond vorbei. Aber auch das konnte den scharfen Brandgeruch nicht vertreiben, und in der Ferne leuchtete es rot, wo Tors Hof in Flammen aufging.
In der silbergrauen Morgendämmerung ritt ich mit Kvasir, Finn und Thorgunna dorthin, wo der Rauch noch immer in den Himmel stieg, aber von Gunnarsgard war
nichts mehr übrig als verkohlte Balken. Flanns Leiche war noch dort, wo sie gelegen hatte, und die Krähen erhoben sich mit schwerem Flügelschlag, als wir uns näherten, aber von Stoors Leiche war nicht mehr viel übrig. Es gab nur noch eine weitere Leiche. Klein und verkohlt lag sie auf einer Bank in der schwarzen Ruine der Halle.
Thorgunna rutschte von ihrem Pony herunter. Sie hatte den Saum ihres Kleides zwischen die Beine genommen und zum Reiten in ihren Gürtel gesteckt, sodass es aussah wie eine weite Hose. Mit ihren drallen Waden marschierte sie auf die rauchende Ruine zu und blieb stehen. Sie wiegte sich vor und zurück und starrte auf das grauenvolle Bild, das sich ihr bot.
»Tor«, sagte sie schließlich, und ich nickte. Es gab keinen Zweifel. Für Klerkon zählte allein Geld. Er hatte den nutzlosen Krüppel Tor umgebracht, dann hatte er seine Sklaven, die Frauen und alles andere mitgenommen, einschließlich der Hühner. Thorgunna bückte sich und hob etwas auf, dann drehte sie sich um und kam herüber, wo ich auf meinem Pony saß.
Sie legte eine Hand auf mein Knie, und ich merkte, dass sie zitterte wie ein gefangener Vogel. In ihrer schwieligen, schmutzigen Hand lag ein zerrissener Lederriemen, auf den eine Scheibe aus Knochen gefädelt war. »Ich gehöre Tor« stand in Runen darauf. Es war einer der Riemen, mit denen Tor seine Thrall kennzeichnete, falls sie Lust bekommen sollten, wegzulaufen. Klerkon hatte sie zu seinem Schiff, der Drachenschwinge, getrieben, um sie zu verkaufen – und nicht nur die Sklaven.
Er hatte sich genommen, was er bekommen konnte, und war abgezogen, um jetzt nägelkauend darüber zu brüten, was er als Nächstes tun könnte, um mir das Geheimnis des Schatzes zu entreißen. Wenn ihm klar war, dass Thordis
die Schwester von Kvasirs Frau war, würde er sie gewiss dazu benutzen, mich zu erpressen. Wenn.
»Wir müssen meine Schwester retten«, sagte Thorgunna. Ich sah zu Kvasir hinüber, der mich von der Seite anblickte und nickte. Ich sah Thorgunna an, und mir war klar, dass uns gar nichts anderes übrig blieb.
Also nickte ich.
»Heya«, sagte Finn, und ich hätte
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