Drachenboot
musste, obwohl seine Laune dadurch nicht besser wurde, und es wäre dumm gewesen, ihn jetzt auch noch zu reizen.
Doch ein Dummer findet sich immer, besonders wenn man ihn am wenigsten braucht. Lyut war beim Gelage am vergangenen Abend im Kreis seiner eigenen Druschina sehr laut geworden und hatte schrecklich angegeben. Man sah, dass die Männer das schon gewöhnt waren und ihn gewähren ließen, weil er Sveinalds Sohn war.
An diesem Abend machte er jedoch einen Fehler. Finn war für einen Moment auf eine Bank neben einen Mann gerutscht, den er flüchtig kannte, als Lyut mit rotem Gesicht auf ihn zugetorkelt kam.
»Du sitzt auf meinem Platz«, schnauzte er, und Finn sah ihn überrascht an.
»Mag sein, obwohl dein Name nicht draufsteht. Aber ich bleibe nicht lange, sieh mal, hier ist noch ein Platz, und da drüben ist auch einer.«
»Verschwinde, wenn eine Respektsperson es dir befiehlt«, bellte er.
Finn drehte sich um. Um ihn her war es still geworden, und diese Stille breitete sich im Raum aus wie Wellen, wenn man einen Riemen ins Wasser taucht.
»Respektsperson?«, fragte er und zog eine Augenbraue hoch.
»Du hast richtig gehört«, erwiderte Lyut voller Hass. »Ich stehe so weit über dir, dass du mir die Füße küssen müsstest.«
Damit setzte er seinen Fuß auf die Bank neben Finn. Niemand sprach. Sveinald hatte sein Trinkhorn in der Hand und sah grinsend erst zu Dobrynja, dann zu Wladimir. Dies war eine so glatte Herausforderung, dass sich allen die Nackenhaare sträubten. Ich wagte nicht, etwas zu sagen; niemand wagte es. Die Stille wurde unerträglich.
Da grinste Finn, breit und bösartig. Wie zur Bestätigung neigte er den Kopf, und Lyut lachte hämisch. Finn gab seinem Nachbarn das Trinkhorn, dann umfasste er mit beiden Händen Lyuts Fuß und hob ihn an seine Lippen.
Ich war sprachlos, genau wie alle anderen. Ich sah, wie Kvasir empört aufstehen wollte – doch da stieß Lyut einen Schrei aus, denn Finn war aufgestanden und hob den Fuß weiter an, sodass Lyut wie ein hilfloser Vogel auf einem
Bein hüpfte und Mühe hatte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Mit einer letzten lässigen Bewegung warf Finn den Fuß so hoch, dass Lyut aufschrie und krachend umfiel.
»Und du, mein Junge, kannst mich am Arsch lecken«, sagte Finn und putzte sich die Hände ab. In der Halle brach ein unbeschreiblicher Lärm aus, die Pfiffe und das Gejohle bewiesen, dass mindestens die Hälfte von Sveinalds Männern betrunken genug war, um hemmungslos ihre Genugtuung darüber zu zeigen, dass Lyut dort in der Bierpfütze lag.
Finn war nicht dumm. Ein dummer Mann hätte sich jetzt mit seinem Trinkhorn wieder auf die Bank gesetzt, sich auf die Schulter klopfen lassen und das beifällige Grölen genossen. Und Lyut wäre so schnell wie möglich aufgestanden, hätte einen Sax aus dem Stiefel gezogen und seinem Feind in den Rücken gerammt.
Stattdessen musste Lyut feststellen, dass seine Rechte bereits von Finns Linker mit eisernem Griff umklammert wurde. Er schwang die andere Faust, aber diese wurde von Finns rechter Hand lahmgelegt. Dann grinste Finn bösartig und versetzte ihm einen Kopfstoß, dass dem hübschen Jungen das Nasenbein brach und das Blut nur so spritzte.
Lyut ging rückwärts zu Boden, er fiel über eine Bierbank und rollte ins Feuer. Es dauerte nur einen Moment, bis klar war, dass er nicht allein aufstehen konnte, aber sein Haar hatte bereits Feuer gefangen. Einige, die in seiner Nähe standen, zogen ihn weg und klopften die Flammen aus.
Jetzt brüllten Sveinalds Männer vor Wut, denn das war etwas anderes. Sveinald selbst blieb sitzen, das goldverzierte Trinkhorn in der Hand, und nur die weißen Knöchel an seinen Händen verrieten seine Anspannung.
Sigurd mit der glänzenden Silbernase rückte etwas näher
an seine beiden Schutzbefohlenen heran, den jungen Prinzen und Olaf Krähenbein, der jetzt Wladislaws ständiger Gefährte war. Krähenbeins Gesicht zeigte keine Angst, nur Neugier, als habe er gerade eine neue Vogelart entdeckt.
Finn drehte sich um. Sein Gesicht war rot von Lyuts Blut, in der Hand hielt er den Sax. Zornig blickte er um sich, und der Lärm verebbte.
»Ich bin Finn Bardisson aus Skani, genannt Rosskopf«, sagte er mit eindringlicher Stimme. »Möchte sonst noch jemand seinen Fuß geküsst haben?«
Stille.
»Meldet euch, ihr Hunde!«
Hinter ihm wimmerte Lyut und wurde hinausgetragen, damit die Frauen sein versengtes Gesicht mit Gänsefett behandeln konnten.
»Setz dich
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