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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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Grund mehr, mich um die Rückkehr zu Attilas Grabhügel zu drücken; Odin hatte mich zur Stevenfigur seines Schiffs gemacht und sorgte für einen Wind, den ich nicht ignorieren konnte.
    Finn und Kvasir wunderten sich über das laute Gelächter, das plötzlich aus dem Gefängnis drang. Ich wunderte mich auch. Dabei war ich es selbst, der es ausstieß.

Als der Star erfroren vom Dachbalken fiel, stieß Olaf Krähenbein ihn mit der Fußspitze an und sagte, das sei der letzte, den wir in diesem Jahr zu sehen bekämen, denn die anderen hätten sich alle versteckt. Dieser habe offenbar seine Dummheit mit dem Leben bezahlt.
    »Versteckt?«, fragte Thorgunna, die bis zur Nasenspitze in Wolle und Pelz gehüllt war. »Vor wem denn?«
    »Vor dem weißen Raben«, erklärte Krähenbein, die Wangen rosig vor Kälte. Die Männer, die in der Nähe saßen und es gehört hatten, sahen den Jungen betroffen an, und Thordis machte ein Abwehrzeichen. Sie sah nach allem, was sie mitgemacht hatte, hohläugig und elend aus, und Finn trat näher zu ihr.
    »Über solche Dinge solltest du lieber nicht sprechen«, sagte Kvasir und sah von seinem Lederstück auf, aus dem er einen neuen Riemen für seinen Helm zuschnitt. Krähenbein zuckte die Schultern und zog den weißen Pelzumhang enger um sich, denn der Wind hatte den Schnee unter der Tür durchgeblasen, und dieser bedeckte jetzt den Boden der Halle. Etwas verschütteter Met hatte sich mit dem Stroh auf dem Boden vermischt und war zu einem bersteinfarbigen Klumpen gefroren, selbst die Spinnen waren erfroren, und die Netze, in denen sie hingen, zitterten im Wind, der kalt und scharf wie ein Rasiermesser war.
    Von Onund Hnufa kam ein kehliges Räuspern, womit er stets ankündigte, dass er etwas sagen wollte.
    »Ich brauche keinen dieser Vögel, um zu wissen, dass wir einen schlimmen Winter vor uns haben«, brummte er, »denn der grüne Wein ist einen Monat früher gefroren als sonst.«
    Jon Asanes beugte sich vor, sein Atem stand als warmes Dampfwölkchen vor seinem Gesicht. »Der weiße Rabe?«, flüsterte er.
    Ich erzählte ihm von dem weißen Raben, den die Zwerge in ihrer Obhut hatten, wie alle anderen Geheimnisse auf Erden: den Laut einer Katzenpfote, die Barthaare einer Jungfrau, die Wurzeln eines Berges, die Träume eines Bären, den Atem eines Fisches, den Speichel eines Vogels. Lauter Dinge, die man weder hören noch sehen konnte und die dennoch irgendwo aufbewahrt werden mussten.
    Die Zwerge hielten sie versteckt, und sie kamen nur einmal zum Vorschein, nämlich als sie einige dieser Dinge brauchten, um daraus Gleipnir zu schmieden, die Kette, an die der alles verschlingende Fenriswolf gelegt war. Das hatte man durch einen Trick geschafft. Der Gott Tyr hatte nämlich unter dem Versprechen, dass die Götter den Wolf hinterher wieder freilassen würden, dem Ungeheuer das Maul zugehalten. Das Versprechen wurde natürlich nicht gehalten, aber durch Tyrs List war der Wolf jetzt sicher.
    Das Einzige, was die Zwerge zur Anfertigung von Gleipnir nicht benutzt hatten, war eine Feder des weißen Raben, Odins drittem Schoßtier.
    Manchmal schickt der Einäugige diesen Vogel in die Welt hinaus, genau wie die beiden anderen, Hugin und Munin  – den Gedanken und die Erinnerung –, doch der Weiße kommt nicht zurück, um dem Gott Geheimnisse zuzuflüstern. Er fliegt über die Erde und schüttelt seine Federn, die als Schnee fallen und harte Winter verursachen. Damit erinnert er uns daran, dass eines Tages der Fimbulwinter
kommen wird, die große Eiszeit, die Ragnarök einleitet, den Untergang der Welt.
    »Will Krähenbein uns damit etwa weismachen, dass das Ende der Welt gekommen sei?«, fragte Jon.
    Finn lachte kurz auf. »Der kleine Krähenbein sagt nur, dass die Vögel das denken«, berichtigte er. »Aber Vögel haben ja so kleine Köpfe, dass darin nur Platz für wenige Gedanken ist, deshalb ist es mir auch egal, was sie denken.«
    »Nicht alle Vögel denken nur ans Singen«, sagte Krähenbein, und wieder mussten wir an Sighvat denken, der vor Jahren in Serkland umgekommen war. Ich erinnerte mich gut an ihn, wie er geduckt in der Steppe saß und den zerbeulten silbernen Teller betrachtete, den wir bei Attilas Grab ausgebuddelt hatten. Er war der erste Beweis gewesen, dass es hier einen Schatz gab, dieser schwarze Silberteller, auf dessen Rand Bilder eingraviert waren, von denen Sighvat sagte, es seien die Träume der Vögel.
    »Ich habe noch nie etwas von einem weißen Raben gehört«,

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