DRACHENERDE - Die Trilogie
Ktabor sein.
Ich bin am Ziel, dachte Rajin.
„Tritt näher, Fremder! Wir haben dich erwartet.“
Es war ein Chor von Gedankenstimmen, der in Rajins Kopf widerhallte. Sie sprachen Magusisch und manche sogar Alt-Magusisch – und doch konnte er sie verstehen.
Rajin näherte sich der Stadt und beschleunigte seinen Schritt. Aber er stellte fest, dass die sich immer weiter zu entfernen schien, je größere Anstrengungen er unternahm, um sie zu erreichen.
„Bleib stehen!“, sagte eine der Gedankenstimmen.
„Vergeude nicht deine Kraft!“, riet eine andere, und eine dritte fragte: „Bist du nicht hier, Kraft zu empfangen, anstatt sie zu verlieren?“
„Wo seid ihr?“, rief Rajin.
„Dort, wo du uns nicht erwartet …“
„Wo sollte das sein?“, rief Rajin.
„Wir sind längst bei dir!“, erklärte eine Stimme zu seiner Linken. Rajin drehte sich um und sah eine Gestalt in einem weißen, knöchellangen Gewand. Dass es sich um einen Magier handelte, konnte man an der Stirnfalte erkennen. Ähnlich, wie es bei Komrodor der der Fall gewesen war, war der Kopf vollkommen haarlos, und statt der nach oben wachsenden, oft recht buschigen Augenbrauen vieler Magier hatte auch dieser schlangenartige Tätowierungen. Rajin erkannte nun, dass diese Tätowierungen gar keine Schlangen darstellten, sondern Abbilder der Erdwürmer waren, die sich an den Leuchtenden Steinen labten.
Die Gestalt hob den Arm und deutete mit dem Finger auf den Schlüssel des Geistes. „So kehrt zumindest ein Teil deines Geistes hierher zurück, Komrodor!“
„So, wie wir es prophezeit hatten“, sagte eine andere Stimme. Rajin wandte sich dem zweiten Sprecher zu und stellte plötzlich fest, dass er sich inmitten der Stadt befand und von mindestens hundert Magiern umringt war. Sie alle hatten gemeinsam, dass ihre Köpfe haarlos waren, gleichgültig ob es sich um Männer oder Frauen handelte und wie stark sie ansonsten vom Alter gezeichnet waren.
„Wer seid ihr?“, fragte Rajin.
„Weißt du es wirklich nicht?“
„Er ahnt es längst, traut aber seinen Sinnen und seinem Verstand nicht.“
„Ist das ein Wunder? Er ist ein Mensch – erwartet nicht zu viel von ihm. Auch wenn das magische Blut Barajans in ihm fließen mag.“
„Man erwähne diesen Namen bitte nicht mehr hier in Ktabor! Nie wieder!“
Rajin lauschte den Stimmen und stellte fest, dass er plötzlich in der Lage war, sowohl die magusische als auch die alt-magusische Sprache auch dann zu verstehen, wenn ihm die Bedeutung der Worte nicht gleichzeitig als Gedanken mitgeteilt wurden. Er hatte keine Ahnung, wie das möglich war, doch er hatte das Gefühl, diese Sprachen schon immer beherrscht zu haben, obwohl sein Verstand ihm sagte, dass dies ganz gewiss nicht der Fall gewesen war.
„Du kannst sogar in dieser Zunge sprechen“, sagte einer der Meister des Geistes.
„Aber wir verstehen dich auch, wenn du dein eigenes Idiom benutzt“, fügte ein anderer Magier hinzu.
Rajin hob den Arm mit dem Schlüssel des Geistes. „Es hat einen Grund, dass ich hierher gekommen bin.“
„Wir kennen den Grund. Es besteht kein Anlass, uns mit Erklärungen und Rechtfertigungen zu langweilen.“
„Lasst ihn doch einfach tun, weshalb er hier ist“, rief eine andere Stimme, die brüchig klang und eine Sprache verwendete, die zu etwa zwei Dritteln aus alt-magusischen Wörtern bestand. Aber selbst bei diesem derartigen, recht persönlich gefärbten Misch-Idiom hatte Rajin nicht die geringsten Verständnisprobleme. „Lasst es ihn ausprobieren, und es wird sich herausstellen, was geschieht. Es könnte sein, dass er zu schwach ist – so wie andere, die es versuchten. Oder er rettet die Seinen und damit auch uns vor dem Chaos.“
„Er besitzt einen Schlüssel des Geistes!“, gab ein weiterer Sprecher zu bedenken. Er war von einem grünen Schimmer umgeben, der wie das Glühen der Leuchtenden Steine von innen aus ihm herausstrahlte. „Ist das nicht eine gute Voraussetzung?“
„Dann lasst es endlich beginnen!“, forderte eine sehr gebrechlich wirkende Sprecherin, deren blasse Haut den Eindruck von rissigem Pergament erweckte.
Wie auf ein geheimes Zeichen hin hoben die Magier die Arme und begannen einen Singsang. Ein Schwall von Gedanken erreichte Rajin mit schmerzhafter Intensität. Er hob die Hand mit dem Schlüssel des Geistes, der wieder anfing zu glühen – erst rötlich, dann in demselben Grün, das den meisten Leuchtenden Steinen in dieser Gegend eigen war.
Aus
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