DRACHENERDE - Die Trilogie
ich mich denn verlassen?“, lautete Rajins gereizte Entgegnung. Ein Gedanke nur, aber der Seelenrest des Großmeisters schien ihn bestens zu verstehen.
„Auf die Sinne derer, denen diese Höhle vertraut ist“, lautete die überraschend simple Antwort.
„Das trifft nur auf den Affen und Yyuum selbst zu. Und wenn ich den Affen unter meine geistige Kontrolle zwinge, wird der Urdrache das vermutlich ebenso bemerken, als wenn ich es bei ihm selbst versuche.“
„Hier leben mehr Kreaturen, als du für möglich hältst. Wesen, die zu winzig sind, als das Yyuum ihre Geister auch nur bemerken würde, wenn er sie nicht gerade zu etwas benötigt. Aber sag mir, gibt es da immer noch Furcht und Zweifel in dir? Wozu warst du Narr in Ktabor? Du hättest dir die Mühe sparen und in Ruhe abwarten können, dass mächtigere Wesen als du das Schicksal der Welt nach ihrem Gutdünken bestimmen.“
Rajin lauschte dem unablässigen Herzschlag des Urdrachen. Ein weiterer heißer Atemzug fegte durch die Höhle, und wieder vibrierte deren Boden leicht. Irgendwo brach etwas von der Höhlendecke und polterte herab.
Und dann spürte Rajin all die winzigen Seelen, die sich in seiner Nähe befanden. Geister, die kaum einen Gedanken zu formulieren vermochten und sich ihrer selbst nicht mehr bewusst waren als ein Sandkorn.
Spinnentiere …
Tausende von ihnen saßen an der Höhlendecke. Manche verbargen sich in den Spalten und Rissen, andere spannen ihre Netze, die wie staubige Vorhänge aus Seite von der Decke hingen. Keine von ihnen war größer als eine menschliche Hand.
Um sie mit dem Auge zu erkennen, war das Licht zu schwach und die Entfernung zur Höhlendecke zu groß. Aber das war auch gar nicht nötig. Rajin wusste einfach, dass sie da waren. Ihre Geister waren leicht zu lenken. Und so nahm er wahr, was sie wahrnahmen. Sie waren an die Dunkelheit gewöhnt. Ob es wirklich Augen waren, mit denen sie ihre Umgebung erkannten, oder ganz andere, fremde Sinne, die vielleicht sogar selbst den Magiern unbekannt waren, wusste Rajin nicht.
Aber es spielte auch keine Rolle. Wichtig war nur, dass er alles erkennen konnte, was in dieser Höhle zu finden war.
Unter anderem war das ein unscheinbar wirkender messingfarbener Ring. Er hing an einem hauchdünnen Faden aus Spinnenseide von der Höhlendecke, sodass er annähernd in der Mitte der Höhle frei zu schweben schien. Yyuum hatte die Spinnentiere dazu veranlasst, den Ring dort aufzuhängen. So hatte er ihn im Blick, sobald er die Augen aufschlug.
Das Symbol der Unterdrückung der Drachen …
Und vielleicht der Schlüssel dazu, die Macht über die Drachenheit denen wieder zu entreißen, die sie so lange inne gehabt hatten – den Menschen.
„Worauf wartest du, Rajin? Geh!“
„Der nächste Feuerstoß des Urdrachen wird mich zu Asche zerblasen. Er wird mich töten, während er noch schläft, und es nicht mal bemerken!“
„Du hast dich von allem gelöst – nur nicht von deiner Furcht!“
Wieder blies der Atem des Urdrachen durch die Höhle. Mehrere kleinere Flammenzungen stahlen sich zwischen den Zähnen hindurch, von denen ellengroße, angerußte Versteinerungen abplatzten und auf den Boden der Höhle bröckelten. Ablagerungen aus Äonen waren das. Ein Laut, der fast wie ein Knurren klang, drang aus der Kehle Yyuums und verursachte bei Rajin ein so drückendes Gefühl in der Magengegend, dass er sich kaum noch aufrecht halten konnte. Wie ein kräftiger Fausthieb in den Bauch wirkten diese ungeheuer tiefen Töne.
Der dritte Drachenring schwang an dem Faden aus Spinnenseide wie ein Pendel hin und her.
Rajin trat vor. Auch wenn ihm die Knie weich wurden und er wegen des Drucks auf seiner Bauchdecke kaum atmen konnte.
„Erfasse den Rhythmus seines Herzens – und den seiner Atmung. Beachte die Pendelbewegung des Rings. Und dann nutze dein Wissen!“, mahnte ihn die Gedankenstimme des Großmeisters.
Rajin wartete den nächsten Atemzug des Urdrachen ab. Der Ring pendelte durch den heißen Luftzug auf Rajin zu. Er lief darauf zu. Seine Schritte waren sicher, und obwohl er die leuchtende Metallhand wie eine Fackel vor sich hertrug, war er für seine Orientierung nicht auf ihr Licht angewiesen. Neben den Spinnentieren gab es unzählige Käfer und wurmartige Kreaturen, deren Geister er nutzen konnte, um ein so exaktes inneres Bild von der Höhle zu haben, wie es ihm die eigenen Augen niemals hätten vermitteln können.
So gab es keine Fehltritte, kein Stolpern und Straucheln an
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