Drachenfedern I - Schicksalhafte Begegnung
woher angeweht haben. Vielleicht von einem Raben oder von einer versteckten Strauß-Farm.“ Er kicherte leise, stellte es jedoch sofort ein, als ein stechender Schmerz durch seinen Kopf fuhr.
„Von einem Strauß war sie auch nicht, habe ich recherchiert. Es muss von einem viel größeren Vogel gewesen sein.“
„Vergiss es einfach, Kleiner.“ Er versuchte, sich zu entspannen, damit er sich auf das Gespräch konzentrieren konnte. Derzeit besaß er weder die Muße noch die Geduld, um sich mit seinem nervenden Bruder anzulegen.
„Mama sagt, du sollst das Krankenhaus nicht vergessen.“
„Sag Mama, ich liebe sie.“
„Sie sagt, sie weiß es und du sollst dich nicht einschleimen, sondern untersuchen lassen.“
Jonas musste grinsen. Er liebte seine Mutter, auch wenn sie ihn oft so sehr auf die Palme brachte, dass er sie am liebsten mit bloßen Händen erwürgen oder zur Adoption freigeben würde.
„Papa hat vorhin angerufen. Er will nächstes Wochenende mit mir zu einem Fußballspiel gehen. Die Bayern spielen.“
Schlagartig verschlechterte sich Jonas' Laune. „Mach mal den Lautsprecher aus.“
„Ist aus“, kam es wenig später zurück. Der merkwürdige, hallende Klang in der Leitung war verschwunden. Ein Indiz dafür, dass das Gespräch aus dem Lautsprecher nicht wieder zurück ins Telefon ging.
Jonas seufzte. Er wusste ganz genau und aus eigener Erfahrung, dass sein Vater nie von sich aus anrief. Vermutlich hatte seine Mutter angerufen und ihn wieder einmal wegen des Pflichtwochenendes zurechtgewiesen oder besser gesagt zusammengestaucht. „Du weißt, dass Papa nicht immer hält, was er verspricht.“
„Er hat es hoch und heilig versprochen.“
„Tu mir einen Gefallen“, bat er seinen kleinen Bruder inständig. „Wenn das mit dem nächsten Wochenende daneben gehen sollte, sei bitte nicht traurig. Du kennst Papa. Er hat dich bereits so viele Male enttäuscht. Sei froh, wenn es klappt. Aber vergiss es einfach, wenn ihm wieder einmal etwas dazwischen kommt. Okay?“
„Mhm“, antwortete Sebastian leise.
„Sag Mama, dass ich sie trotzdem liebe, selbst wenn sie jetzt über mich schimpft.“ Er wusste, dass sie es nicht mochte, wenn er so mit seinem kleinen Bruder sprach. Er fand jedoch, dass für den Jungen Klartext besser wäre, als dieses Schön-Wetter-Reden seiner Mutter, um ihren Jüngsten zu schonen. Darüber hatte er mit seiner Mutter bereits ausführliche Streitgespräche geführt.
„Tut sie schon“, kam es verhalten aus dem Telefon. „Sie sagt, wenn du nicht augenblicklich zu einem Arzt gehst, schickt sie dir einen Sanka.“
Die Drohung half offensichtlich. „Okay“, gab er schließlich nach und ließ das Coolpack sinken. „Ich geh ja schon.“ Es würde weitere zehn Euro und eine schlaflose Nacht kosten, das wusste er bereits jetzt. Und hinterher war er genauso schlau wie vorher und hundemüde. Und dann war da noch die Präsentation, für die er einen klaren Kopf brauchte.
„Du sollst anrufen, wenn du zurück bist“, gab Sebastian weiter.
„Das kann spät werden.“ Er sah auf die Uhr. Acht Uhr abends, sonntags. Die Notaufnahme würde selbst an einem Heilig Abend hoffnungslos überfüllt sein, wusste er und seufzte tief. „Mach ich“, sagte er dennoch. „Bis später.“
„Tschau“, erwiderte Sebastian und legte auf.
Jonas warf das Coolpack auf den Tisch, schüttelte sich noch eine Aspirintablette aus dem Röhrchen und spülte sie mit einem Schluck aus der Wasserflasche hinunter. Für gute zehn Minuten würde der Schmerz nicht mehr brennend wie Feuer seinen Schädel zermartern. Das genügte, um die Notaufnahme zu erreichen. Er warf sich die Jacke über, schnappte sich im Vorübergehen die Autoschlüssel und verließ seine Wohnung.
Erwartungsgemäß ließ man ihn ganze eineinhalb Stunden im Wartezimmer schmoren, ehe sein Name über die Lautsprecher ausgerufen wurde. Da er das Aspirin vergessen hatte, bedeuteten die letzten eineinhalb Stunden reinstes Martyrium für ihn. Dementsprechend vorsichtig bewegte er sich zum Behandlungszimmer und erzählte dem bereits wartenden Arzt im gedämpften Ton, was ihm zugestoßenwar. Der nickte wissend, betastete die rekordverdächtige Beule an der Stirn und schickte ihn erst einmal zum Röntgen.
Nach einer halben Stunde saß er ein weiteres Mal bei dem Arzt, der eingehend die Röntgenaufnahmen betrachtete, und kämpfte mittlerweile gegen eine drohende Ohnmacht wegen Müdigkeit und Erschöpfung an. Die Kopfschmerzen schafften ihn
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