Drachenflamme: Roman (German Edition)
desorientiert an der Oberfläche auf, dass man sie ohne Schwierigkeiten einsammeln konnte. Bereits bei seinem ersten Überflug hatte er auf diese Weise eine ordentliche Mahlzeit zusammenbekommen, und die Seeschlangen hatten sich zufrieden die Reste geschnappt. Auch wenn sie sich in angemessener und respektvoller Distanz hielten, sah er sie in der Ferne ihre Köpfe aus dem Wasser schieben und nach ihm Ausschau halten in der Hoffnung auf mehr.
Dieses Mal war er noch erfolgreicher darin, für gleichmäßige Abstände der Wellen untereinander zu sorgen. Nachdem er eine Reihe von ihnen ausgesandt und ein letztes großes Brüllen, das seine Kehle dumpf schmerzen ließ, hinterhergeschickt hatte, musste er in
der Luft stehen bleiben und husten. Aber was bedeutete angesichts des großen, glasigen Hügels, der sich plötzlich aus dem Wasser erhob, schon eine solche kleine Unannehmlichkeit? Der Wellenkamm stürzte von ihm weg, fraß jede einzelne der kleinen Wellen und stieg höher und höher auf zehn Meter, bis sein hellgrünes Leuchten sicher die Mastspitzen der Schiffe erreicht hätte. Um seiner Freude Luft zu machen, flog Temeraire einige Male im Kreis herum, als das Ganze eine halbe Meile weiter draußen auf ein unter der Wasseroberfläche verborgenes Riff traf und schäumend mit einem Donnern und Brausen zusammenbrach, das klang, als würde eine volle Breitseite abgefeuert.
Es galt nun, keine Zeit mehr zu verlieren. Der kochende, weiße Meeresschaum wurde durch den Sonnenuntergang bereits rosa gefärbt. Auf direktem Weg flog Temeraire zum Ufer und rief: »Laurence … Laurence, bitte komm und sieh dir das an …!«
Laurence sah von dem Brief auf, den er gerade schrieb und in dem es um Demanes Position ging; die Schiffe sollten das Schreiben mit nach England zurücknehmen. Temeraire dachte bei sich, dass es eigentlich gar keinen Grund mehr gab, warum noch irgendjemand ein Kapitän im Korps sein wollte. Denn wenn sie Laurence verschmähten, dann ließ ihre Urteilskraft ganz offenkundig zu wünschen übrig. Immerhin hatte doch sogar der Kaiser ihn so hoch gelobt, und Qian ebenfalls. Temeraire hatte es Laurence gegenüber nicht erwähnt, um nicht als übermäßiger Angeber zu erscheinen, doch sie war in ihrem Brief auf ihn zu sprechen gekommen und hatte Temeraire wissen lassen, dass er ihrer Ansicht nach mit seinem Gefährten eine überaus glückliche Wahl getroffen habe.
»Bitte, Laurence, würdest du mal kommen und mit mir hinausfliegen?« , fragte Temeraire. »Ich will dir etwas zeigen.« Laurence sah zum Wasser, das schon hoch ans Ufer spülte. »Einen Moment noch, ich hole das Geschirr.« Er sprach kurz mit Granby und legte dann seine Ledergurte an.
»Mein Lieber, ich weiß, dass das eine schlimme Situation für dich ist«, sagte Laurence, als er mit Temeraire hinausflog. Stattdessen blieben sie in Sichtweite des Hafens. »Auch mir gefällt es überhaupt nicht, dich zu bitten, es hinzunehmen, dass die Nation beleidigt wird, die zwar nicht diejenige deiner Geburt ist, aber zumindest die deiner Herkunft, und der deine große Sorge gilt. Bitte glaube mir, dass ich das nur mit dem allergrößten Widerwillen tue.«
»Laurence, dir ist es doch auch nicht recht, oder?«, fragte Temeraire. »Du denkst doch auch nicht, dass Willoughby unsere Gastgeber derart schlecht behandeln sollte, nicht wahr? Das billigst du doch nicht etwa?«
»Nein«, sagte Laurence. »Aber es gibt überhaupt nur sehr wenig, was ich am Krieg oder an den Ränkespielen der Nationen billigen kann. Unsere Kolonie in Neusüdwales ist kein Geheimnis, mein Lieber. China hat ganz sicher davon gehört, genauso wie von unseren Handelsinteressen im Indischen Ozean. Sie können sich nicht auf ihre Unwissenheit berufen, wo sie doch bereits selbst Handelswaren nach Sydney geschickt haben. Außerdem liegt wirklich ein gewisses Maß an Provokation darin, einen derart strategisch wichtigen Ort zu besetzen und in so großer Nähe zu Cooks Anspruchsgebiet einen eigenen Stützpunkt zu errichten.«
»Aber das ist keine Entschuldigung für die Zerstörung des Hafens, bei der vielleicht sogar unsere Freunde getötet werden«, rief Temeraire. »Ich verstehe sowieso nicht, was für ein Recht Cook gehabt haben sollte, überhaupt irgendetwas in Besitz zu nehmen. Doch selbst wenn man das noch akzeptieren würde: Diesen Ort hier hat er nicht beansprucht, also ist es nicht so, als wäre der Hafen eine wirkliche Provokation.« Er blieb mit rotierenden Flügeln in der Luft
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