Drachenflamme: Roman (German Edition)
halten sollte und irgendeine chinesische Strategie dahinter vermutet, dann wäre ich sehr froh, davon zu erfahren, auch wenn die Nachricht uns erst ziemlich spät erreichen wird. Laurence, es ist eine seltsame Vorstellung, dass ich erst in zehn Monaten mit einer Antwort rechnen kann, wobei eineinhalb Jahre wahrscheinlicher sind. Nun, wo wir Kapstadt an diese
afrikanischen Burschen verloren haben, können unsere Kuriere nicht einmal mehr nach Indien fliegen, um deinem Brief auf halbem Wege entgegenzukommen.
Aber eines daran ist tröstlich: Sollte plötzlich die Leidenschaft mit dir durchgehen, sodass du Rankin versehentlich von einer Klippe stößt oder ihn ganz unbeabsichtigt mit deinem Degen durchbohrst, werde ich ebenso lange nichts davon hören. Und außerdem bist du ja schon deportiert, was sehr praktisch ist, wenn man einen Mord verübt. Aber ich will dich nicht zu etwas anstiften, auch wenn es wirklich eine Schande ist, ein Ei an ihn zu verschwenden, selbst eines unserer armen, ungewollten Stiefkinder.
Die drei Eier, die mitgeschickt worden waren, um das Experiment zu starten, waren in den Augen britischer Züchter nicht viel wert. Eines stammte von einem gewöhnlichen Gelben Schnitter und war weggeschickt worden, weil noch weitere siebzehn Eier dieser Rasse in den Zuchtgehegen darauf warteten, dass die Drachen schlüpften. Das zweite Ei war ein enttäuschendes, extrem verkümmertes, kleines Ding, das unbemerkt aus der Verbindung eines Parnassianers und eines Bunten Greifers hervorgegangen war, beides Schwergewichte. Das letzte und vielversprechendste der drei Eier, groß, hübsch gefleckt und geriffelt, stammte von Arkady, dem Anführer der Wilddrachen, und Wringe, der besten Kämpferin seiner Bande.
In Großbritannien konnte man sich nicht recht für dieses Ei begeistern, denn die meisten Züchter sahen die neu rekrutierten Wilddrachen als Dämonen an, die geschickt worden waren, um ihre sorgfältig angelegten Zuchtlinien ein für alle Male durcheinanderzubringen oder gar zu ruinieren. Und so hatte man das Ei weggegeben. Doch unter den Fliegern, die als mögliche Kandidaten für die neuen Schlüpflinge mitgereist waren, galt es schon bald als ausgemachte Sache, sich viel von diesem Ei zu versprechen. »Wo diese Wringe
draußen in der Wildnis schon so groß geworden ist«, hörte Laurence mehr als einen Offizier verkünden, »ist es doch nur wahrscheinlich, dass der Schlüpfling bei guter Ernährung und Training noch größer werden wird. Und niemand kann sich über die Kampfmoral der Wilddrachen beklagen.«
Diese jungen Offiziere steckten nun in einem Dilemma, wie Laurence nicht ohne grimmiges Vergnügen bemerkte. Sie waren unerschütterlich in ihrer gemeinsamen Verachtung vereint gewesen, sowohl was Laurence’ persönlichen Verrat anging als auch hinsichtlich Temeraire, dessen Verhalten sie Laurence’ schlechter Führung zuschrieben. Doch nun war Rankin aufgetaucht, um einen von ihnen auszustechen und das beste Ei für sich zu beanspruchen. Er war mit einem Schlag zu ihrem erbitterten Feind avanciert, und Temeraires entschlossener Widerstand war ihre größte Hoffnung darauf, Rankin wieder loszuwerden.
»Er darf auf keinen Fall einen der Drachen bekommen«, hatte Temeraire sofort erklärt, als er von dem geplanten Arrangement unterrichtet wurde. »Wenn er möchte, kann er gerne zu mir kommen und versuchen, sich ein Ei zu holen. Ich wäre sehr erfreut, die Sache mit ihm … äh … auszudiskutieren«, schnaubte er, und seine Miene war so unheilverkündend, dass sich Janes Hoffnungen nur zu schnell erfüllen könnten.
»Mein Liebling«, sagte Laurence, nachdem er den Brief hatte sinken lassen, »mir gefällt diese Aussicht genauso wenig wie dir. Aber wenn wir ihm nicht einmal die Chance gäben und er unverrichteter Dinge nach England zurückkehren würde, dann hätten wir das Übel nicht abgewehrt, sondern nur aufgeschoben. Mit Sicherheit würde er dort einem anderen Ei zugewiesen werden, und du kannst dir sicher sein, dass der arme Schlüpfling dann weniger Gelegenheit hätte, ihn abzulehnen. Und die Schuld würde auf jeden Fall auf Granby zurückfallen: Die Befehle und die Verantwortung, sie durchzusetzen, sind an ihn gerichtet.«
»Ich werde nicht zulassen, dass Granby für alles verantwortlich gemacht wird«, mischte sich Iskierka ein, die den Kopf gehoben hatte. »Ich verstehe auch überhaupt nicht, wo das Problem liegt. Der Drache schlüpft aus dem Ei, und warum sollte es uns noch
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