Drachenglut
über uns Bescheid?«
»Das ist doch egal«, sagte Mr Cleever. »Was sie wissen, wird nach unserem Abmarsch keine Rolle mehr spielen. Wir müssen nur aufbrechen, das ist a l les.«
Er neigte den Kopf lauschend zur Seite.
Michael vernahm ein Knistern in den Steinen und Balken des Hofes. Die Gestalt im Rollstuhl saß ganz still, aber ein Windstoß zerrte an der Kapuze, die den Kopf verbarg.
»Mr Hardraker ist bereit«, sagte Mr Cleever. »Paul sollte jetzt das Transportgerät herausbringen.«
Alle Augen wandten sich zur Schuppentür, hi n ter der die Geräusche seit geraumer Zeit verstummt waren. Michael spürte Mr Cleevers mentalen B e fehl, er wartete auf Pauls Antwort, aber es kam keine.
Eine peinliche Pause entstand.
Mr Cleever schnalzte mit der Zunge.
»Er kann doch unmöglich so unfähig sein«, knur r te er kaum hörbar. Die Pause dauerte an. Schließlich verlor Mr Cleever die Geduld, überwand sich und ging zur Schuppentür. Majestätisch klopfte er an das Holz.
Die Tür ging auf. Pauls Gesicht tauchte auf, er blinzelte ins Licht.
»Oh«, sagte er etwas überrascht. »Haben Sie g e klopft?«
»Ja. Bist du fertig? Wir müssen los.«
»Klar. Aber jemand muss mir helfen.«
Mr Cleever sah zu Michael hinüber, der vom Mühlstein aufstand und zum Schuppen ging. Er wusste nicht, was ihn erwartete, duckte sich unter der niedrigen Tür und sah sich um.
Es roch nach Sägespänen. Überall lagen die Wer k zeuge herum, mit denen Paul Comfrey den ganzen Vormittag über gearbeitet hatte. Mitten im Schuppen im spärlichen Licht, das durch das einzige Fenster drang, stand das Transportgerät, mit dem Mr Hardr a ker, der älteste und mächtigste Jünger des Drachen, den Aufstieg auf den Wirrim bewältigen würde.
Es war eine Sänfte.
Jedenfalls etwas in der Art.
Ein massiver, hochlehniger Esszimmerstuhl war in den Schuppen getragen worden. Zwei unglaublich lange dünne Stangen waren an den Armlehnen bef e stigt worden, der Stuhl hing zwischen ihnen. Die Stangenenden waren mit Stoff umwickelt, um das Tragen zu erleichtern. Hinter der Lehne ragten me h rere Bambusstöcke auf, die eine Art Baldachin tr u gen, der zum größten Teil aus einem alten Rege n schirm bestand: Das war das besondere Extra, mit dem Paul gerade fertig geworden war, und er war hochzufrieden damit.
»So kann er im Schatten sitzen. Das hält ihn frisch.«
»Hinreißend«, sagte Michael.
Beide stellten sich zwischen die Tragestangen, der eine vor, der andere hinter dem Stuhl, und griffen zu. Bei »drei« hoben sie den Stuhl hoch. Der Baldachin schwankte beängstigend, aber er blieb oben.
Mr Cleever hielt die Tür auf und sie traten in den Hof hinaus und liefen weiter zur Treppe. Als sie den Tragestuhl absetzten, taten Michael bereits die Arme weh.
Warum fliegen wir nicht einfach mit ihm hoch?, dachte er bei sich.
»Weil … «, erklang Mr Cleevers Stimme in seinem Kopf, »… wir unsere mentale Kraft für die Befreiung brauchen. Wir werden ihn abwechselnd tragen und oft rasten.«
Wieder einmal war Michael schockiert, mit we l cher Leichtigkeit Mr Cleever seine Gedanken lesen konnte. Er verfluchte seine Unfähigkeit, sich besser dagegen zu schützen, und verstärkte seine Abweh r kraft.
Vanessa Sawcroft und Geoffrey Pilate glotzten den Tragestuhl wenig erfreut an.
»Das ist er?«, fragte Pilate.
»Genau, und du hilfst mir jetzt dabei, Mr Hardr a ker auf seinen neuen Stuhl zu tragen.«
Er und Pilate bückten sich und hoben den ze r brechlichen Körper hoch.
Michael sah verdutzt, wie sie sich anspannten und wie ihnen auf der Stirn der Schweiß ausbrach, wie ihre Muskeln knackten. Für jemand, der fast bis aufs Skelett abgemagert war, schien ihre Last merkwürdig schwer. Beide Männer knirschten mit den Zähnen, als sie ihre Last mit mühevoller Langsamkeit hoc h stemmten und die kleine Strecke bis zum Stuhl tr u gen.
Der Wind hatte aufgefrischt und zupfte am Rand des Baldachins. Michael spürte überall Bewegung. Er hörte die Dielen in den staubigen Schlafzimmern knarren und stöhnen und die eisernen Pferchzäune in den hintersten Winkeln des Hofs rasseln und die Stangen aneinander kratzen.
Mr Hardraker wurde auf den Tragestuhl gesetzt und wieder mit Decken eingehüllt.
Vanessa Sawcroft verteilte die Rucksäcke. Mich a el nahm seinen entgegen, ohne sich die Mühe zu m a chen und ihn zu öffnen. Er war mies gelaunt und entmutigt. Nach dem Wunder des Fliegens erschien ihm der bevorstehende Aufstieg umständlich und u n endlich
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