DrachenHatz
hatte, würde ich meinen lieben alten Freund die Arbeit keinesfalls allein erledigen lassen. Ich würde mitmöbeln, bis das Herzchen am ganzen Körper grün und blau schillerte und mir zähneklappernd verriet, weshalb er mir das angetan hatte. Erst dann würden wir die Polizei rufen und ihn den Beamten übergeben. Selbstjustiz? Na klar, auch wenn ich sie eigentlich und prinzipiell ablehne. Aber so springt niemand mit mir um!
Harry hatte im Wohnzimmer gedeckt, was ich erstaunlich einfühlsam fand, denn dies war wirklich der letzte Ort, an dem ein frisch verliebtes Pärchen sein Frühstück einnehmen würde. Ich langte herzhaft zu, kaute zwar etwas schief, schluckte auch noch ein bisschen schwer, doch schließlich hatte ich drei Tassen Kaffee und vier Stullen intus und fühlte mich satt und ein wenig schläfrig.
»Also, Hemlokk, jetzt erzähl mal. Was ist passiert?«
»Von Anfang an?« Er würdigte diesen zugegeben nicht sehr geistvollen Beitrag meinerseits mit keiner Antwort. Nun gut, recht hatte er ja. Eigentlich. Doch auf der anderen Seite gingen ihn mein Privatleben und damit der Krach mit meinem Ex-Liebsten nicht die Bohne an. Also probierte ich es zunächst mit der Kurzform. »Thomas ist gestern Abend kurzzeitig in ein Hotel gezogen, und als ich anschließend spazieren ging, hat man mich überfallen.«
Harry schüttelte nur stumm den Kopf.
»Greta«, ergänzte ich daraufhin mit schwerer Zunge, denn es war gar nicht so einfach, wach zu bleiben und dabei auch noch konzentriert zu antworten. »Wir hatten ihretwegen eine … äh … kleine Auseinandersetzung, weil sie nämlich unter dem Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom leidet. Und wenn man das erst einmal erkannt hat, ergibt alles einen fürchterlichen Sinn.«
Ich strahlte ihn stolz an. Darauf zu kommen, war schon eine außerordentliche detektivische Leistung, fand ich nach wie vor. Harry sah das offenbar anders. Er wirkte plötzlich nur noch besorgt bis alarmiert, wenn ich seinen angespannten Gesichtsausdruck richtig deutete. Und dabei befiel mich das unangenehme Gefühl, dass sein Seelenzustand überhaupt nichts mit Gretas Krankheit zu tun hatte, sondern mit mir.
»Ehrlich«, beteuerte ich im Brustton der Überzeugung, »so ist es. Thomas hat mir ebenfalls nicht geglaubt. Aber es stimmt todsicher, weil alles prima zusammenpasst.«
»Na klar«, stimmte Harry mir ekelhaft herzlich und falsch zu. »Sicher, Hemlokk, so wird es sein. Aber weißt du, wir müssen das alles nicht unbedingt jetzt besprechen. Das ist gar nicht nötig. Leg dich doch noch ein Weilchen hin und schlafe eine Runde. Ich halte Wache. Und wenn du wieder ein bisschen … also wenn es dir besser geht, reden wir, einverstanden?«
Normalerweise wäre ich stinksauer gewesen. In diesem Falle nicht, denn ich fühlte mich völlig zerschlagen und sterbensmüde. Ich nickte friedlich.
»Na, dann komm, Mädchen.«
So hatte Harry mich noch nie tituliert. Mein Gott, was musste es mir dreckig gehen! Doch bevor ich den Gedanken vertiefen konnte, zog er mich auch schon hoch, legte mir den Arm um die Schulter und bugsierte mich ins Schlafzimmer.
Es dämmerte bereits, als ich vierzehn Stunden später erwachte. Ich reckte und streckte mich vorsichtig; es tat immer noch alles weh, natürlich, trotzdem fühlte ich mich wie neu geboren. Offenbar hatte mich Harry ausgezogen und zugedeckt, aber daran konnte ich mich gar nicht mehr erinnern, weil ich offenbar sofort ins Reich der Träume gesunken war.
Etwas klapperte im Wohnzimmer. Ich lauschte. Harry arbeitete an seinem Laptop. Es war ein ungemein beruhigendes Geräusch. Ich winkelte die Beine langsam über die Bettkante, winkte ihm auf dem Weg ins Bad kurz zu und verschwand in selbigem. Dieses Mal wusch ich die Haare mit.
»Von diesem Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom sind fast ausschließlich Frauen betroffen«, sagte Harry nachdenklich, als ich mich ihm schließlich wohlduftend gegenübersetzte. »Alleinerziehende, nach außen hin sehr fürsorgliche Mütter, denen die Anerkennung fehlt. Die holen sie sich über die Kinder, die sie permanent krankmachen, um als besonders aufopferungsvoll zu gelten. Meistens sind die Frauen überdurchschnittlich intelligent und verfügen über ein gewisses medizinisches Know-how.«
Ach Harry. Gerührt blinzelte ich zu ihm hinüber, was er jedoch Gott sei Dank nicht bemerkte. Doch genau da lag er doch, der Unterschied zwischen den beiden Männern: Thomas hielt mich für bescheuert und kam gar nicht auf die Idee, sich
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