DrachenHatz
schlauzumachen. Die liebe Hanna hatte eben eine Meise. Punkt. Das hatte Harry zwar auch gemeint, aber dies hielt ihn keineswegs davon ab, sich sicherheitshalber kurz zu informieren. Na bitte. Mehr erwartete ich doch gar nicht.
Er klappte seinen Laptop zu und unterzog mich einer Musterung, die einem Großinquisitor alle Ehre gemacht hätte.
»Leg los, Harry«, ermunterte ich ihn milde.
»Willst du nicht erst einen Happen essen?«
»Später.«
Er nickte. »Gut. Also, wie bist du ausgerechnet auf dieses abseitige Krankheitsbild gekommen, Hemlokk? Es handelt sich ja schließlich nicht um eine Grippe oder einen ordinären Husten.«
»Nö«, stimmte ich friedfertig zu. Und dann berichtete ich von Cornwell und ihren ABC-Morden und dass es mir darauf in Hinblick auf Greta wie Schuppen von den Augen gefallen war. Jeder bemitleidete sie. Einfach jeder, das war nicht neu. Doch dass sie genau dies regelrecht genoss, wie ich mir eingestand, als ich mir die unterschiedlichsten Situationen in Erinnerung rief, das war brandneu und hatte mich wie ein sauberer rechter Haken getroffen. »Schau, dieses Muster lässt sich durchgängig zeichnen«, fuhr ich eifrig fort, als ich merkte, dass ich mittlerweile Harrys ungeteilte Aufmerksamkeit besaß, »Ex-Mann Nummer eins, Arthur Bebensee, hat mir zum Beispiel völlig unabsichtlich von der Herkulesstaude erzählt. Wenn man mit dieser Pflanze in Kontakt kommt, wird man lichtempfindlicher, was bei erhöhter Sonneneinstrahlung zu Quaddeln und Verbrennungen führen kann. Natürlich hat Greta behauptet, der Junge sei dort ganz von selbst hineingestolpert, tüffelig, wie er nun einmal war. Sie kann in diesem Fall jedoch auch durchaus nachgeholfen haben, nicht? Denk- und machbar wäre es zumindest, denn Hauke und Greta waren auf diesem Spaziergang allein, es gab keine Zeugen. Ein Schubs da, ein Kick hier … nicht einmal dem Kind selbst dürfte klar geworden sein, was da mit ihm passierte. Und auch sonst fällt so etwas zunächst keinem auf, weil niemand überhaupt einen derartigen Verdacht hegt.«
»Mmh«, machte Harry unbestimmt und schenkte mir und sich eine Tasse Kaffee ein. Ich nippte. Er war lauwarm und abgestanden, doch ich sagte nichts, weil ich ihm meine Theorie in einem Rutsch erläutern wollte.
»Dann passierte die Sache mit dem Aspirin, wie mir Frieder Gallwitz, Ex-Gatte Nummer zwei, völlig ohne Hintergedanken und ebenfalls unbeabsichtigt berichtete. Greta verabreichte es dem Jungen, neben dem leberschädigenden Paracetamol, gegen die Schmerzen vor einer Mandeloperation. Das Zeug wirkt jedoch gleichzeitig blutverdünnend, was sich bei einer Operation logischerweise lebensbedrohlich auswirken kann. Um sich das vorzustellen, braucht man nicht allzu viel Fantasie. Und tatsächlich wäre es ja auch beinahe schiefgegangen. Also nicht aus Gretas Sicht natürlich, da lief es nahezu perfekt. Wobei sie es so extrem sicherlich nicht gewollt hatte, denn Hauke wäre ja fast gestorben. Aber letztlich benötigte er, weil er so geschwächt war, dauerhafte Hilfe und Pflege, und sie verbrachte völlig selbstlos vier Wochen Tag und Nacht an seinem Bett. Alle – bis auf Frieder Gallwitz, der stinkig war, weil er plötzlich nicht mehr im gewohnten Mittelpunkt stand – waren gerührt bis tief beeindruckt von so viel Mutterliebe.«
»Sie muss allerdings definitiv gewusst haben, wie diese Mittel wirken, sonst lässt sich deine These nicht halten«, wandte Harry ein.
»Ja, aber es ist doch nicht schwer, so etwas herauszubekommen«, parierte ich. »Vielleicht kennt sie privat einen Arzt ganz gut oder eine Apothekenhelferin. Oder sie war zufällig auf einem Geburtstag, auf dem über solche Sachen gesprochen wurde. Da gibt es doch die unterschiedlichsten Möglichkeiten.« Eine vage Information nahm plötzlich konkrete Formen an: »Nein, halt, ich hab’s. Sie hat Medizinisch-Technische Assistentin gelernt, das hat sie mir sogar selbst erzählt. Also wusste sie Bescheid.«
Harry nickte, doch ich merkte, dass ihm meine Erläuterungen ganz ordentlich zu schaffen machten. Was seine folgenden Worte bestätigten. »Das ist ja pervers, wenn es tatsächlich so war«, meinte er leise. »Das ist ja –«
»– noch nicht alles«, unterbrach ich ihn heftig, »denn anschließend folgte die Sache mit dem versalzenen Essen.«
Jetzt stieß Harry einen leisen Pfiff aus, bevor er bedächtig sagte: »Das ist ein beliebtes Mittel solcher Frauen, habe ich gelesen. «
»Ganz genau«, lobte ich ihn, meinen
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