DrachenHatz
hartnäckig – und wider besseres Wissen? Ich hatte keine Ahnung. »Das hätte ich doch merken müssen.«
Harry erwiderte nichts, was auch eine Antwort war. Stattdessen fing er an, wie ein verhaltensgestörter Wolf im Gehege auf und ab zu tigern. Bis ich ihn schließlich anblaffte, dass er mich damit erst recht in den Wahnsinn treibe.
»Dann sieh gefälligst den Tatsachen ins Auge, Hemlokk.«
Tatsachen? Welche Tatsachen? Bewiesen war doch wohl überhaupt nichts. Noch bewegten wir uns ausschließlich im Bereich der Gierke’schen Spekulation! Klar, wenn ich mit meiner Analyse der Situation sowie des Krankheitsbildes recht hatte, dann suchten wir fortan nach Gretas Kompagnon und nicht nach einem Gegner. Das war aber auch schon alles, bei Licht betrachtet! Und da gab es schließlich Arthur Bebensee, der sie immer wieder ausführte. Oder den smarten Frieder, der den Psychopathen möglicherweise nur gab, damit niemand Verdacht schöpfte, dass er seine Ex immer noch liebte und ihr zu Füßen lag. Und nicht zu vergessen Rolfi-Baby, der … ach Scheiße! Aber natürlich passte es Harry vortrefflich in den Kram, wenn Thomas tatsächlich etwas mit dem Fall zu haben sollte. Er hatte ihn schließlich von Anfang an nicht ausstehen können. Meinte er etwa, ich hatte diese unbestreitbare Tatsache schon vergessen? Ich schwieg trotzig. Von dem Anruf würde ich Harry erst mal ganz sicher nichts erzählen. Das würde er ja doch gleich wieder falsch interpretieren und als zusätzliche Munition gegen Thomas benutzen.
»Hemlokk!«
»Nein, verdammt!«, fuhr ich ihn an. »Thomas war es nicht, glaube es mir doch. Greta beschäftigt einen anderen Mann als Schläger und Anrufer.«
Er glaubte mir nicht, ich las es ihm von der Nasenspitze ab. Doch nach einem abgrundtiefen, grenzenlose Toleranz demonstrierenden Seufzer meinte er lediglich: »Lassen wir dieses Thema erst einmal beiseite. Versuche dich zu erinnern, was dir an dem Angreifer aufgefallen ist.«
Friede den Hütten und Palästen also fürs Erste. Mir war es recht. Brav schloss ich die Augen und konzentrierte mich. »Mmmh … Also, er war nicht besonders groß. Thomas hingegen –«
»– ist schätzungsweise einsfünfundachtzig. Er könnte sich jedoch extra krumm gehalten haben. Das geht ganz leicht«, fuhr Harry mir brutal in die Parade.
»Schon gut«, grummelte ich und zwang mich, weiter in meiner Erinnerung zu forschen. Allzu viel kam dabei jedoch nicht heraus. »Ob er kräftig gebaut war, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, weiß ich, wie gesagt, nicht. Es ging nämlich alles so furchtbar schnell.« Damit kam ich dem Standardspruch bei Befragungen dieser Art vermutlich sehr nahe. Doch es stimmte einfach. Die Angst, der Schock, der Schmerz – man war so mit sich und der Situation beschäftigt, dass es für die Erstellung einer auch nur halbwegs brauchbaren Täterbeschreibung nicht reichte. »Er trug eine Maske«, fuhr ich trotzdem verbissen fort. »So eine Art Wollmütze mit Schlitzen. Glaube ich jedenfalls.«
Harry seufzte.
»Und er stank aus dem Mund nach … ach, ich weiß nicht. Ich kann mich nur erinnern, dass sein Atem irgendwie säuerlich roch.«
»Na prima«, lobte mich Harry mit beißendem Spott in der Stimme, »damit hängen wir ihn garantiert in den nächsten zwei Stunden an den Eiern auf. Gut gemacht, Hemlokk.«
Ich ging nicht auf seine Stichelei ein. »Und er sagte, ich solle mich heraushalten, sonst werde es mir erst richtig schlecht ergehen.«
»Wunderbar, Hemlokk. Damit sitzt er so gut wie sicher hinter dänischen Gardinen. Er dampft aus dem Mund, und du hältst dich raus. Na, wenn das nicht aussagekräftig ist. Ich schreibe ihn umgehend zur Fahndung aus.«
»Mensch, ich kann doch nichts dafür!«, fauchte ich ihn an.
Er schwieg bedeutungsvoll. Glaubte er mir etwa nicht? Meinte er vielleicht, dass ich mit meinen vagen Angaben lediglich Thomas schützen wollte? Bullshit!
»Harry!«, knirschte ich voller Wut. »Jetzt hör mir mal zu! Ich –«
»Na ja, stimmt schon«, gab er sich hastig versöhnlich. »Wenn du nichts gesehen hast, ist es eben so. Aber hast du jedenfalls den Hauch einer Ahnung, was genau er mit diesen Worten gemeint haben könnte?«
»Wieso?«, erwiderte ich ehrlich erstaunt. »Mehr hat er nicht gesagt. Aber er meinte natürlich Greta. Das haben wir doch alles lang und breit besprochen. Was sollte er denn wohl sonst gemeint haben?«
Harry lächelte maliziös. »Das, meine liebe Hemlokk, entpuppt sich vielleicht
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