DrachenHatz
Boden. Das Schildkrötenpaar hatte sich bereits zur Ruhe begeben und schlummerte friedlich unter dem Salbeibusch. Der Moment, um Harry endlich mit meiner brandneuen Zwei-Komplexe-Theorie vertraut zu machen, war eindeutig gekommen.
»Hör mal«, begann ich eindringlich, »ich habe nachgedacht und –«
»Das sagtest du bereits. Aber jetzt trinken wir erst einen Schluck.« Aus heiterem Himmel hob Harry sein leeres Glas. »Auf das Ende von Breitschedt!«
»Thomas? Du irrst dich, der ist nicht unser Mann. Wir müssen die Sache nämlich ganz neu aufrollen. Also, nicht alles, nur einen Teil«, entgegnete ich verdutzt und äußerst begriffsstutzig. »Ich habe dir doch erklärt, dass –«
»Hemlokk, hallo, das meinte ich gar nicht. Wir sind nicht mehr im Dienst.«
»Nicht?«, echote ich blöde.
»Nein«, sagte Harry. »Ich finde es nur gut, dass er aus unserem Leben verschwunden ist.«
Aus unserem Leben? Aber wir lebten doch jeder für sich, ich meine, für uns, also allein, getrennt und so. Ich war völlig perplex. Was zum Donner war denn plötzlich mit Harry los, dem guten Kumpel, seit ich meine ersten Schritte im Private-Eye-Gewerbe unternommen hatte? Schmiss er sich jetzt etwa gleich vor mir auf die Knie und bat mich mit schwankender Stimme, künftig Leben und Heim mit ihm zu teilen?
Das tat er nicht. Stattdessen stellte er sein Aquavitglas beiseite, beugte sich zu mir herüber und verpasste mir mit sichtlichem Vergnügen einen schallenden Kuss auf die Wange.
Ich erstarrte. »Mach das noch einmal, Harry. Schnell!«
Er küsste erneut, allerdings etwas weniger enthusiastisch, was mir in diesem Moment völlig schnurz war. Ich schnupperte wie elektrisiert. »Jetzt hauch mich an!«, befahl ich streng.
»Was soll ich?«, ächzte er.
»Mich anhauchen«, wiederholte ich ungeduldig. War der Mann denn plötzlich schwerhörig geworden?
»Du lieber Gott«, flüsterte er erschüttert.
»Nun mach schon, Harry!«
Endlich hauchte er mir direkt auf die Nase. Ich feixte beglückt. Na also, es geschehen doch wirklich noch Zeichen und Wunder! Denn genau das war er, der Geruch, der dem Scheißkerl in Dänemark aus dem Mund gekrochen war, als er mich zusammenschlug.
»Pølser hat mein Angreifer gegessen, Harry«, sagte ich beglückt. »Supersonnenklar.«
Das musste man ihm lassen, er rang lediglich kurz um Fassung, dann war er wieder ganz der Alte. »Sicher?«, fragte er zweifelnd. »Ich hauche lieber noch einmal.«
Er tat es. Doch, ja, ich war völlig sicher. Aber kam ich damit ermittlungstechnisch irgendeinen Schritt weiter? Eigentlich nicht, wenn ich es recht bedachte. Ein Alleinstellungsmerkmal war das jedenfalls nicht gerade; jeder Hans und Franz vertilgt schließlich mindestens einen Pølser, wenn er nach Dänemark fährt.
»… ja auch kein Wunder, dieses Fast-Food-Zeugs schmeckt und riecht immer gleich, weil da natürlich –«
»Was hast du gesagt, Harry?«, fiel ich ihm rüde ins Wort.
»Dass dieses Fast-Food-Zeugs immer glei–«
»Fast Food«, wiederholte ich mit einem überirdischen Lächeln, nahm seinen Kopf in beide Hände und küsste ihn schmatzend auf die Stirn. »Du bist ein Genie, Harry Gierke.«
»Weiß ich doch«, stimmte er mir mit gewohnter Bescheidenheit zu, »aber in diesem ganz speziellen Fall … mmh, könntest du mir vielleicht mitteilen weshalb?«
»Arthur Bebensee ernährt sich seit Jahrzehnten praktisch ausschließlich von Fast Food.«
Harry stieß einen leisen Pfiff aus.
»Und er wusste, das Gretas Wohnung nicht verwüstet sein würde«, ergänzte ich frohgemut. »Damit verfügen wir bereits über zwei Hinweise, die auf ihn als Täter deuten. Obwohl er immer so tut, als könne er seine Ex gut leiden. Aber das ist offenkundig nur Tarnung. Er hat nämlich die alte Almuth umgebracht. Greta wusste davon nichts. Verstehst du, Harry? Jemand spielt ihr wirklich übel mit.«
Gut, mein kleiner Vortrag kam vielleicht nicht ganz strukturiert daher, aber das war doch noch lange kein Grund, durch mich hindurchzustarren, als sei ich ein Gespenst!
»Und dieser Bebensee isst praktisch nichts anderes?«, reagierte Harry endlich.
»Ja. Tatsache«, bestätigte ich irritiert. »Ich habe es selbst erlebt. Er stopft ausschließlich Chips und Fritten in sich hinein.«
»Dann haben wir ihn. Damit ist er dran«, sagte Harry sehr bestimmt und begann zu strahlen wie ein Kater vor der Sahneschüssel.
Jetzt war es an mir, an seinem Verstand zu zweifeln. »Hör mal«, begann ich behutsam, »das ist
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