DrachenHatz
erzählt, sondern nur, dass sie dringend Ruhe benötigen, um ihre Projekte in Frieden weiterentwickeln zu können.«
Wer das glaubte … Ich riss mich zusammen. Stänkern konnte ich ein anderes Mal. »So, so. Und wovon haben die beiden bislang gelebt? So jung sind sie nicht mehr, also müssen sie doch irgendetwas gemacht haben. Vielleicht mit alten NVA-Panzern gehandelt? Oder am heimischen Küchentisch schweinegeile Dessous entwickelt? Mir ist nämlich zufällig zu Ohren gekommen, dass Rolf Verdoehl einmal bei Beate Uhse gearbeitet hat. Aber das ist schon lange her.«
Mein Ton gefiel Johannes ganz und gar nicht, ich sah es ihm an und hätte mich ohrfeigen können. »Da verfügst du über mehr Kenntnisse als ich, Hanna. Ich weiß lediglich, dass Rolf als Hausmeister seine Brötchen verdient hat. Und zwar bei Kirchens.«
Er schwieg, und ich wurde prompt hellhörig. Johannes hielt zwar bekanntlich eine Menge von der Grundgütigen, doch mit der Institution Kirche sowie ihrer in Beton gegossenen Lehre – ob katholisch, jüdisch, evangelisch oder islamisch spielte keine Rolle – hatte er so seine Schwierigkeiten. Er suchte sich deshalb aus jeder Religion das zu ihm Passende heraus. Daraus machte er keinen Hehl.
»Was war damit?«, drängte ich ihn ahnungsvoll.
Er zuckte scheinbar gleichmütig mit den mageren Schultern. Ich kannte ihn jedoch besser. Es trieb ihn um. »Rolf hat den Job wieder aufgegeben, weil er diese Doppelmoral nicht länger ertrug. ›Du sollst nicht töten‹, steht dick und breit in der Bibel. Und was machen die Oberen daraus? ›Du sollst nicht morden‹, und zack ist alles in Butter. Widerlich. Deshalb ist Rolf gegangen.«
Als Hausmeister? Es wollte mir nicht recht einleuchten, wo die Verdoehl’sche Großtat lag. Nach meinem Eindruck verließ der Mann jedes Arbeitsverhältnis, wenn es ihn überforderte oder er schlicht und ergreifend keine Lust mehr hatte. Da war das ganze theoretische Brimborium an den Haaren herbeigezogen. Der Knabe war ein Schwadroneur und vermutlich arbeitsscheu, aber auf keinen Fall von seinem Gewissen gebeutelt. Und schließlich weiß man doch, dass Grundsätze in jedem System biegsam sind. Außerdem war die Sache mit dem Tötungsverbot in der Bibel auch schon eine Weile her. Schlappe eintausendfünfhundert Jahre so etwa, wenn ich mich recht entsann. Als nämlich die Kirche im frühen Mittelalter zur Staatskirche erhoben wurde und sich mit solchen rigorosen Imperativen keine Blumentöpfe beziehungsweise keine Schlachten mehr gewinnen ließen, war es auf einmal ein Leichtes gewesen, das strikte Tötungsverbot in ein lasches »Du sollst nicht morden« umzuinterpretieren. Und siehe, seitdem konnten die Kirchen problemlos Soldaten, Kriege und Waffen segnen und Millionen von Toten klaglos hinnehmen.
Aber das war doch nicht allen Ernstes ein Kündigungsgrund für so einen wie Rolf Verdoehl! Nein, der hatte lediglich auf einem angespannten Wohnungsmarkt Johannes’ religiöse Achillesferse erfasst und sofort auf dieser Klaviatur gespielt. Oder so ähnlich. Jedenfalls gehen Schwindler auf diese Art und Weise vor. Und er hatte mit diesem Schmus schließlich auch eine ebenso günstige wie toll gelegene Wohnung ergattert, was doch ein bezeichnendes Licht auf seinen Charakter warf. Es hatte bloß keinen Sinn, mit Johannes darüber zu disputieren.
»Und mehr weißt du nicht über die beiden?«, versuchte ich jedoch heldenhaft, mir meinen Ärger nicht allzu deutlich anmerken zu lassen. Vergeblich. Und ich war augenscheinlich nicht die Einzige, die sauer war.
»Nein, ehrlich nicht, Hanna«, polterte Johannes. »Aber sagst du mir jetzt vielleicht endlich, was mit Rolf und Bettina los ist? Hast du bei Matulke vielleicht zwischen all den Mohnschnecken und Rumkugeln zufällig ihren Steckbrief entdeckt? Oder bei Inge Schiefer zwischen Hering und Roter Grütze? Hat Interpol sie zur Fahndung ausgeschrieben? Weißt du denn etwas Genaueres über sie?«
»Nein«, musste ich wahrheitsgemäß zugeben. »So direkt nicht«, fügte ich kleinlaut hinzu und ersparte ihm das »noch nicht« und mir die Weitergabe der Information, dass ich vorhatte, das saubere Paar mittels modernster Technik auszuhorchen und zu durchleuchten, weil ich ihn für einen möglichen Holzdieb und anonymen Anrufer hielt. Johannes wäre nicht begeistert gewesen. Gar nicht, fürchtete ich. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte er seine Mieter sogar eindringlich vor dieser Big Sister gewarnt.
»Und was soll dann jetzt die
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