DrachenHatz
Stühle. Bunte Kunstdrucke mit viel Landschaft, Tieren und Meer zierten die hellgelben Wände. Sogar eine Bordüre mit griechisch-römischen Motivschnörkeln lief um. Und an einem Schwarzen Brett hingen die neuesten Informationen sowie eine erhebliche Zahl von krakeligen Kinderzeichnungen.
Das Problem waren die Menschen. Etwa zwölf bis fünfzehn saßen herum, doch es herrschte kein angeregtes Geplauder, niemand lachte. Die Stille war total und einfach gespenstisch. Hin und wieder knarrte lediglich ein Stuhl, wenn jemand sein Gewicht verlagerte.
Wir grüßten. Laut und vernehmlich. Einige erwiderten unser donnerndes »Guten Tag« murmelnd, die Mehrheit reagierte jedoch nicht, sondern stierte weiter vor sich hin und verdämmerte den Tag, der hier sicherlich nach dem Einzigen, was noch von Bedeutung war, gegliedert wurde: den Mahlzeiten. Morgens, mittags, nachmittags, abends; Frühstück, Mittagessen, Kaffeetrinken, Abendbrot – bis einen der Exitus erlöste.
Es war mein erster Besuch in einem Pflegeheim, vielleicht nahm ich deshalb alles so scharf und gnadenlos wahr. Denn Greta schien mit all dem keine Probleme zu haben, sondern schritt munter drauflos.
Als wir den Gang entlangtrabten, der sich an die Eingangshalle anschloss, roch es nach Essen und schwach nach Urin und Desinfektionsmitteln. Eine Insassin schlurfte uns entgegen, gebeugt, in der Rechten einen Stock, mit der Linken den durchgängigen Handlauf fest umklammernd. Unsere Blicke verhakten sich ineinander, und es traf mich völlig unvermutet. Ihre Augen wirkten hellwach, ihr Gesichtsausdruck blitzgescheit und keineswegs gaga.
»Werden Sie bloß nicht alt und marode, junge Frau«, raunte sie mir verschwörerisch zu. »Das ist nichts für Laumänner.«
An einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit hätte ich ihr auf der Stelle einen Job als Kompagnon im Ermittlungsgeschäft angeboten. Hier, an diesem Ort und unter diesen Umständen fiel mir jedoch auf die Schnelle nichts Kluges ein, und so grinste ich nur hilflos, während ich gleichzeitig überlegte, was wohl schlimmer sein mochte: bei klarem Verstand körperlich zu verfallen, oder mit starkem Herzen 120 zu werden, dabei aber zu tüdeln wie ein bekloppter Hamster.
Ich bevorzugte die tüdelige Variante, entschied ich. Das würde ich selbst nicht bemerken, andere hätten damit ihre Last, wenn ich um drei Uhr nachts beschloss, in Nachthemd und Hauspuschen einen Reeperbahnbummel zu unternehmen. Und wenn man nun doch etwas mitbekam? Spürte, wie man geistig verfiel? Ich atmete tief durch. Es war feige – oder einfach nur lebensklug? –, aber ich brach das Gedankenexperiment an dieser Stelle ab. Schließlich war ich noch keine vierzig, befand mich sowohl physisch als auch geistig in einem hervorragenden Zustand und startete gerade mit Thomas und meinem Job als private eye in ein neues Leben. Mit meinem eigenen Siechtum würde ich mich später auseinandersetzen. Wenn es so weit war.
»Meine Mutter heißt übrigens Pomerenke. Almuth Pomerenke«, teilte Greta mir in diesem Moment mit und nickte gleichzeitig einer Schwester zu, die einen in die Hände klatschenden, summenden Greis vor sich herschob. »Herr Mehdol. Er sitzt bei Mutti am Tisch und mag die Karnevalsveranstaltungen besonders. Mit Funkenmariechen, Papphut, Geschunkel und Konfetti.«
»Du lieber Gott!«, entfuhr es mir.
»Ich finde es auch furchtbar«, stimmte Greta mir zu, »aber die meisten Alten lieben solche Spektakel. Da ist halt mal richtig was los. Bei uns Jüngeren ist das doch auch nicht viel anders.«
Sie klopfte, wartete aber das obligatorische »Herein« nicht ab, sondern stieß die Tür auf, während ich mich innerlich wappnete: Gefragt war von nun an die Privatdetektivin Hanna Hemlokk. Deshalb war ich hier. Und nur deshalb.
»Hallo, Mutti«, begrüßte Greta fröhlich die ältere Frau, die im Sessel saß und sich von irgendeiner dieser Nachmittagsshows bedröhnen ließ, »schau, ich habe Besuch mitgebracht. Hanna ist eine Freundin von mir.«
»Hemlokk. Guten Tag, Frau Pomerenke«, stellte ich mich artig vor, trat auf sie zu und hielt ihr meine Rechte hin. Zwei wache Äuglein musterten mich prüfend.
»Mögen Sie einen Cognac? Ich habe einen ganz guten.«
Ihre Stimme hörte sich rostig an. Wie ein wenig aus der Übung, was ja wohl auch stimmte. Greta schaltete den Fernseher aus, plumpste aufs Bett und rief ihre Mutter mit einem mehr pflichtschuldig als ehrlich gemeinten »Doch jetzt noch nicht!« zur Ordnung.
Ich beachtete sie
Weitere Kostenlose Bücher