DrachenHatz
Wischmopp und Tuch unter der Spüle hervor, ließ heißes Wasser hineinlaufen, gab zitronesk duftendes Reinigungsmittel hinzu und legte los: Herd von innen und außen, Abzugshaube von unten und oben, Arbeitsplatte gründlich. Als ich gerade überlegte, ob ich mich vielleicht auch noch auf den Inhalt der Schränke stürzen sollte – was ich meines Wissens noch nie getan hatte –, klingelte das Telefon. Unwillkürlich stürzte ich hin, obwohl Postboten bestimmt nicht anrufen, bevor sie ein Päckchen zustellen. Dem war auch in diesem Fall nicht so. Es war meine Mutter.
Dorle Bruhaupt hatte ihren Guru verlassen und war aus Indien oder China heimgekehrt. Es klang, als sei meine ehemalige Klassenkameradin mit dem sechzehnjährigen Alphatier der Jungsclique durchgebrannt und nun zur Vernunft gekommen. Dorle war acht- oder neununddreißig, also in meinem Alter. Und damit eigentlich erwachsen. Ebenfalls wie ich. Aber jetzt säße das Kind – natürlich abgemagert und abgebrannt wie eine Kirchenmaus, berichtete meine Mutter mit vor Empörung bebender Stimme – wieder bei seinen Eltern und unternähme keinerlei Anstalten zu verschwinden, um diese in Ruhe und Frieden altern zu lassen. Im Gegenteil, Dorle verstand mittlerweile überhaupt nicht mehr, weshalb sie dem heimischen Herd damals den Rücken gekehrt hatte, um aus der Spießerecke herauszukommen und endlich frei wie ein Vogel leben und durchatmen zu können, wie sie es – nicht eben originell – ausgedrückt hatte.
Ich verstand es schon noch, obwohl ich das mit dem Vogel bereits mit achtzehn für völligen Blödsinn gehalten hatte.
Jemand eilte schweren Schrittes den Weg zu mir hinunter, und ich vergaß Dorle auf der Stelle. Doch es war lediglich Plattmann, der einen Blick auf Silvia werfen und einen Moment am See verweilen wollte. Er winkte mir geradezu huldvoll zu, während ich mich um einen toughen Gesichtsausdruck bemühte, ganz private eye, das mitten in einer hochwichtigen Ermittlung steckte.
Die armen Bruhaupts seien jedenfalls ratlos, berichtete meine Mutter genüsslich weiter. Und ihrer Tochter, die sie selbstverständlich von Herzen liebten, langsam überdrüssig, was sie allerdings niemals laut und offen zugegeben hätten, weil sich so etwas nicht gehörte. Aber so sei es. Das merke jeder, der sie näher kenne. Dorle lasse sich umsorgen und umhegen, fasse natürlich auch manchmal mit an, das schon ja, aber im Großen und Ganzen verhalte sie sich so, als sei sie ein gern gesehener Gast auf Lebenszeit.
»Nun, dann lasst sie doch«, erwiderte ich eingedenk meines Besuches bei Almuth Pomerenke und ließ damit die Luft aus dem bis zum Platzen mit mütterlicher Empörung gefüllten Ballon. Wenn Dorle bliebe, nutze das schließlich auf lange Sicht nur allen, argumentierte ich: »Die Eltern haben jemand, der alles für sie erledigt, wenn sie zu alt und gebrechlich sind, um allein noch etwas auf die Reihe zu kriegen, und Dorle hat etwas zu tun. Ist doch perfekt, wenn sich beide Seiten arrangieren.«
Die Laute meiner Mutter, die meine Ausführungen begleiteten, wechselten zwischen hörbar sprachlos bis vernehmlich indigniert. Offenbar war ihr noch nie der Gedanke gekommen, dass ich, ihr eigen Fleisch und Blut und ihr deshalb so vertraut wie die morgendliche Schrippe, dass ich also überhaupt in solchen Kategorien zu denken vermochte. Sie konnte es schließlich auch nicht.
Ich hegte ja den Verdacht, dass die Gute immer noch meinte, unser Verhältnis sei schockgefroren worden, als ich zwanzig war. Doch so war es natürlich nicht. Der Zahn der Zeit nagte seither sowohl an ihr als auch an mir, was nichts anderes bedeutete, als dass unser Eltern-Kind-Verhältnis irgendwann vollständig kippen würde. Dann war die noch leidlich Junge dran mit dem (Ver-)Sorgen. Es sei denn, meine Altvorderen fielen mir mit fünfundsiebzig knackegesund, aber tot vor die Füße. Doch daran war bei denen nicht zu denken, beide Sippen galten als äußerst zählebig. Und ich besaß zwar bündelweise Cousinen und Cousins, aber die waren über den gesamten Erdball verteilt. Wenn es also darauf ankam, war ich das einzige Kind weit und breit. Also … siehe oben. Jedenfalls steckte ich in einer ähnlichen Situation wie Greta, die allerdings durch Almuth Pomerenkes weitblickende und vernünftige Entscheidung, zu einem Zeitpunkt, den sie allein bestimmte, ins Heim zu gehen, unwahrscheinlich viel Glück hatte. Obwohl Gretas Verhältnis zur Mutter ebenfalls nicht ungetrübt war, das hatte
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