DrachenHatz
sie mir auf der Rückfahrt nach Bokau berichtet. Denn in den Fünfzigerjahren habe Almuth sie kurzzeitig in ein Heim abgeschoben – Gretas Vater war von der langjährigen sowjetischen Gefangenschaft derart entkräftet gewesen, dass er bald nach seiner Heimkehr starb –, um sich ihrer Ausbildung zur Stenotypistin voll und ganz widmen zu können. In der Zeit seien Kinderheime jedoch in erster Linie Verwahr-, Zucht- und Drillanstalten ohne Wärme und Liebe gewesen. Sie, Greta, habe dort in diesem schmucklosen, rein auf Zweckmäßigkeit ausgerichteten Komplex sehr gelitten. Jahrelang habe sie es ihrer Mutter verübelt, und dadurch habe es schon einen emotionalen Knacks in der Beziehung zu Almuth gegeben. Vom Verstand her sähe sie allerdings mittlerweile ein, dass es wohl nicht anders gegangen sei. Als Flüchtling ganz auf sich allein gestellt, hatte Almuth eben niemanden gehabt, der auf die Kleine hätte aufpassen können.
Mutter und ich schieden in ungewohntem Frieden, und sie verstieg sich doch tatsächlich zu der Frage, wann ich denn mal wieder nach Hause käme. Ich legte mich nicht fest, versprach aber, meinen Terminplan nach ein paar freien Tagen zu durchforsten.
Als wir auflegten, erschien der Postbote – ohne Wanze. Stattdessen drückte er mir einen von diesen Prospekten in die Hand, in dem man in jeder dritten Zeile persönlich angesprochen und einem geradezu ekstatisch versichert wird, dass man zu dem klitzekleinen Kreis von Auserwählten gehört. Wofür? Keine Ahnung, ich warf das Pamphlet weg, bevor ich so weit war, und kämpfte gegen meine Enttäuschung an wie eine Fünfjährige, die sich zu Weihnachten sehnlichst einen Zauberkoffer wünscht und stattdessen kochfeste Baumwollschlüpfer mit Zwickel und warme Socken auf dem Gabentisch erblickt.
Die Luft war jedenfalls raus, und mehrere Minuten wusste ich nicht, was ich mit dem angebrochenen Tag anfangen sollte. Schmalzen ging in so einem Zustand erfahrungsgemäß nicht, da würde Camilla ihren Helden unerträglich tumb und bieder finden. Und auch Richard würde sich keineswegs entzückt über den temperamentvollen Rotschopf an seiner Seite zeigen, sondern am Ende nach einem schwarzhaarigen Vamp in Lack, Leder und Gummi Ausschau halten. Dann hätten wir die Bescherung.
Also beschloss ich, nach Schleswig zu fahren, um Gretas Ex Nummer zwei auf den Zahn zu fühlen. Sicher ist schließlich sicher, auch wenn Rolf Verdoehl immer noch ganz oben auf meiner persönlichen Täter-Hitliste stand.
Ich ließ meine alte Mühle wohlweislich in einer Querstraße neben dem Gallwitz’schen Autosalon stehen, denn es hätte wahrlich nicht überzeugend gewirkt, wenn ich qualmend auf den Hof gerumpelt wäre, um offiziell ein paar todschicke neue Geländewagen mit 350 PS oder so eine schwarz-metallene Schüssel in Augenschein zu nehmen, in die man sich nur mit dauerelastischen Gummigelenken und Muskeln wie ein Schlangenmensch zwängen kann.
Denn bevor ich mit Frieder Gallwitz in medias res ging, so hatte ich während der Fahrt beschlossen, war es bestimmt hilfreich, mir zunächst einen neutralen Eindruck von ihm zu verschaffen. Schließlich war der Mann nicht ohne, wenn man seiner Schwiegermutter glauben durfte. Ein Filou, der mit ziemlicher Sicherheit nicht so leicht auszuhorchen war wie Arthur Bebensee. An dem schillerte nichts. Der war grundsolide und berechenbar, während der gute Frieder zweifellos mit Vorsicht genossen werden wollte. Und möglicherweise dümpelte sein Autoladen ja mehr schlecht als recht vor sich hin, und er arbeitete mit den Anrufen bei Greta zielstrebig auf eine Karriere in einer dieser unsäglichen Shows hin, die sich an Dämlichkeiten nur so überbieten. Vielleicht wurden Frieder und seine Ex bei den Telefonaten sogar gefilmt, und wenn er sie in ihrer Angst so weit hatte, dass sie einem Hauke-Double vor laufender Kamera noch einmal mit dem Drachen den Schädel spaltete – Freiwillige vor! –, anschließend coram publico minutenlang tränenreich bereute, um sodann mit ausgebreiteten Armen vom Holmer Hochhaus in den sicheren Tod zu springen, wartete das Filmteam bereits hoffnungsfroh unten vor Ort, um life dabei zu sein.
Das Tor zum Gelände zierte ein Schild, an dem die Farbe schon ein wenig blätterte. Der Hof war nicht gefegt, sondern hier und da lagen Papierschnipsel und Kippen herum, was dem First-Class-Anspruch des Gallwitz’schen Unternehmens doch erheblich Abbruch tat. Da bin ich altmodisch. Ich schlenderte mit ernstem
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