Drachenkaiser
für den Rest ihres Lebens unter Hausarrest gestellt.« Der Bobby sah auf ihre erstarrten Züge. »Die Mörderin müsste steinalt sein. Wenn sie eine Tochter hat… na, die hier könnte es sein.«
»Wohl eher nicht.« Sein junger Kollege schob sich den Helm ins Genick und sah über den Rand des Turms. »Ah, da ist der Chinese runtergefallen. Aufgeschlagen und weitergerollt.«
Ich wurde niemals wegen Mordes verurteilt!, rief Ealwhina empört, ohne von ihnen gehört zu werden.
»Sie wurde nicht wegen Mordes verurteilt«, sagte Ruthington gleich darauf zu ihrer Freude. »Die Indizien sprachen zwar alle gegen sie, aber der entscheidende Beweis fehlte. Ihr Mann hat sich auf einen Handel mit dem Lordrichter eingelassen, hieß es.« Er drückte der Toten die Augen zu. »Auf die Geschichte, die sich hier auf dem Turm abgespielt hat, bin ich neugierig. Ob das mit den Vorfällen in der Stadt zusammenhängt?«
»Zehn zu eins, dass ja«, erwiderte der andere. »Ich habe gehört, dass der Ladenbesitzer sagte, eine junge Frau habe die Männer umgebracht.«
»Vielleicht kann uns Seine Lordschaft etwas dazu sagen. Was für eine Tragödie, wenn das Snickelways Tochter ist.« Ruthington erhob sich und ging zur Luke. »Bleib du oben und pass auf, bis der Inspektor da ist. Ich sage Bescheid, dass es zwei Leichen gibt.«
Ealwhina wusste noch immer nicht, was sie tun sollte. Meine Taten halten mich nach wie vor in York. Das Band aus Ektoplasma war jedoch verschwunden.
Was die Bobbies nicht ahnen konnten: Ealwhina besaß die Fertigkeit, ihren Astralleib in ihrer jungen Gestalt auf Wanderschaft zu schicken, während ihr gealterter Körper zu Hause in dem Anwesen ihres Gemahls auf dem Krankenbett lag und von Ärzten versorgt wurde.
Wenn sie mit ihrem Astralleib und ihrer Seele unterwegs war, senkte sich ihr körperlicher Herzschlag ähnlich dem indischer Gurus fast auf Null. Die Ärzte, die das Phänomen für ein jahrelanges Leiden und schwerste Narkolepsie hielten, zwangen dem Körper Essen und Trinken in den Schlund und bewahrten ihn vor dem Tod. Andernfalls hätte sie keine Reisen von fünf Tagen unternehmen können.
Ealwhina hatte es durch Zufall herausgefunden und ihre Fertigkeit in aller Heimlichkeit geschult und perfektioniert. Der lebenslange Hausarrest verschaffte ihr die nötigen Stunden, Tage und Wochen dazu. Ihre Seele nahm Gestalt an und bewegte sich umher, als reale Person mit vielen Vorteilen gegenüber einem normalen Menschen. Aber auch mit Nachteilen: Kehrte sie nicht rechtzeitig zurück, trennten sich Seele und Leib für immer, hatte sie in den Büchern lesen müssen. Was das für sie bedeutete, hatte sie niemals herausfinden wollen.
Heute jedoch war es noch schlimmer gekommen: Ihr Astralleib war zerstört worden. Dabei verhielt er sich gegenüber äußeren Ein –Aussen sonst äußerst widerstandsfähig und scherte sich nicht zu sehr um Verletzungen … Plötzlich fiel ihr eine mögliche Lösung ein. Der Chinese hat mich mit Ektoplasma angegriffen! Diese Energie war in der Lage, meinen Astralleib zu vernichten.
Der Bobby sah auf die vermeintliche Leiche, die plötzlich flackerte und verschwand. »Was, zum …« Er bekreuzigte sich. Leise klirrend fielen die Pistolenkugeln auf den Stein, und nur das Blut des Körpers blieb. »Ruthington!«, schrie er in die Luke. »Ruthington, um Himmels willen, komm sofort wieder zurück!«
Ealwhina drückte sich ab und flog vom Minster, senkte sich langsam auf den Boden, neben die Leiche des Chinesen. Du hast mich getötet! Getötet und zum Geist gemacht! Sie sah sich um, ob sie seine Seele entdecken konnte. Wenn es jemand verdient hätte, ihr als Spukgestalt Gesellschaff zu leisten, dann er.
Bobbies drängten die Menschen ab, die sich neugierig um die Leiche scharten.
Ealwhina hegte die Hoffnung, dass sie mit dem mächtigen Artefakt etwas gegen ihre Vernichtung unternehmen konnte, was ihren Astralleib zurückbrachte. Nein! Sie stierte auf die feinen karamellfarbenen Splitter, die sich um den verschmorten Armstumpf des Mannes verteilt hatten und teilweise im schwarz verbrannten Fleisch steckten.
Es ist zerstört! Sie schlug die Hände vors Gesicht und wollte weinen. Aber es gelang ihr nicht. Sie konnte es nicht. Der Schmerz blieb in ihr stecken, es gab keine Linderung für sie.
»Ealwhina«, vernahm sie eine Stimme. »Ealwhina, da bist du!«
Sie wandte sich um, nahm die Finger von den Augen.
Lady Alice kam auf sie zu, und hinter ihr folgten die Bekannten aus dem
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