Drachenkampf
ziemlich.«
»Dass sich unsere Anführer um mich sorgen, rührt mich …«
Der Einäugige bemerkte seine Ironie nicht und fuhr ungerührt fort: »Was könnten die Burgschwestern wissen?«, fragte er.
»Nichts. Diese Luder wissen gar nichts.«
»Dennoch …«
Der Alchemist fuhr herum und starrte Savelda in die Augen. »Sie sind schon immer hinter mir her«, erklärte er. »Wie können wir also darauf hoffen, dass sie ausgerechnet dann ablassen, wenn unser großes Unterfangen kurz bevorsteht. Erst kürzlich haben sie versucht, mich zu ergreifen, genau wie auch schon in der Vergangenheit. Und wie sie es wohl auch künftig versuchen … Das ist alles.«
»Also gut. Aber lasst uns lieber doppelt vorsichtig sein.«
»Mir fehlt es weder an Umsicht noch an Entschlossenheit. Also setzt Euch lieber dafür ein, die Herren der Ersten Loge zu beruhigen, und erinnert sie daran, dass es nur noch eine Frage von wenigen Tagen ist, bis das Schicksal Frankreichs … eine neue Wendung nimmt.«
Die Île Notre-Dame – die erst ein Jahrhundert später in Île Saint-Louis umbenannt werden sollte – war lange unberührt gewesen. Kein Brücke führte dorthin, weder von den Kais der Seine aus noch von der benachbarten Île de la Cité , und sie wurde kaum betreten, außer von Anglern oder an schönen Tagen von Liebespaaren. Deren Kähne schaukelten dann träge zwischen den hohen Schilfrohren und herabhängenden Zweigen der Weiden. Und gelegentlich wurde dort auch jemand ermordet.
Die ersten Draqs hatten sich dort noch unter der Herr schaft von Henri IV. niedergelassen. Sie bauten an der Ufer böschung vereinzelt Hütten, die sich schon bald zu einem Dorf auswuchsen. Der König ließ sie entgegen der Ratschläge seiner Minister gewähren. Er wusste, dass die Draqs ein Problem für alle westlichen Gesellschaften darstellten, das er nicht allein lösen konnte. Er wusste auch, dass man die Tore der Hauptstadt und die Grenzen des Königreichs nicht länger vor ihnen verschließen konnte. Und schließlich war ihm klar, dass die Menschen dazu verdammt waren, mit den Draqs zu leben, seit sich die ersten von der Jahrtausende währenden Bevormundung durch die Drachen befreit hatten. Aber Henri IV. war sich auch der Gefahr bewusst, die diese Kreaturen aufgrund ihrer wilden und gewalttätigen Natur darstellten. Deshalb ließ man sie auf dieser sumpfigen Insel siedeln – damit sie unter sich blieben und man sie nach Möglichkeit in Schach halten konnte. Den Protest des Domherrn von Notre-Dame beantwortete der König mit dem Kauf der Insel, damit er damit machen konnte, was er wollte.
Unter der Ägide von Henri IV. florierte das Dorf der Draqs. Es entwickelte sich zu einem eigenen Stadtviertel ganz aus Holzbauten, dessen matschige Straßen, finstere Gässchen, windschiefen Gebäude und morschen Pfahlbauten schon im Jahre 1633 die gesamte Insel überzogen. Zu diesem Zeitpunkt nannten die Pariser die Île Notre-Dame wegen ihrer schuppigen Bewohner jedoch schon lange die »Schuppeninsel« – ausgesprochen mit einer Mischung aus Furcht und Verachtung. Obwohl der König dort uneingeschränkte Autorität genoss, gehörte die Schuppeninsel nicht zum Verwaltungsbereich von Paris. Sie war eine Art Vorort im Herzen der Stadt, die von Steuern befreit war und wo es keine Nachtwache gab. Tagsüber waren Menschen dort mehr oder weniger geduldet, auch wenn jeder wusste, dass er sich auf eigenes Risiko auf die Île Notre-Dame begab. Nachts jedoch …
Von der Dämmerung bis zum Morgengrauen war die Schuppeninsel, wie sie wirklich war: betörend und lebensgefährlich zugleich. Denn dann wurde dieses Viertel zum Schauplatz eines Lebens, das von einer urtümlichen Energie erfüllt war, die einem die Schläfen erhitzte und den Bauch kribbeln ließ.
Sobald die Nacht anbrach, wurden Feuer angezündet, Kohlebecken glühten rot an den Straßenecken, Fackeln knisterten an den Eingängen der Tavernen. Durch verwinkelte Gässchen drängten sich ziellos die Draqs, und man rempelte sich fast bei jedem Schritt an, so viele waren es. Die nächtliche Luft war erfüllt von schwerem Parfum, und in der Ferne vermischte sich der Klang fremdartiger Melodien. Raufereien brachen aus, jäh, brutal, und ihr Verlauf war immer blutig. Aus verrauchten Kellern drangen Kriegslieder herauf. Stammestrommeln erklangen, und ihr furchterregender Ruf hallte über die Seine und störte den Schlaf der Hauptstädter. Denn zu dieser Zeit waren hier nicht einmal die Träume der Menschen
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