Drachenkampf
willkommen.
Hier war ein Mensch ein Fremdling, ein Eindringling, ein Feind.
Ja, ein Beutetier.
Aber ein Mischblut?
Die Nacht brach an, während Saint-Lucq allein eine der drei wackeligen Holzbrücken über die Seine überquerte, die die Schuppeninsel mit der Hauptstadt verbanden. Vier Graudraqs schlugen in der Nähe eines großen Lagerfeuers die Zeit tot. Sie sahen die einsame Gestalt herüberkommen und glaubten, dass die Vorsehung ihnen wohlfeil ein bisschen Ablenkung schickte. Einer der Draqs trat Saint-Lucq entgegen, nachdem er seinen Kameraden geraten hatte, sich bloß nichts entgehen zu lassen, und baute sich mit einem fiesen Grinsen vor ihm auf dem Weg auf.
Das Mischblut verlangsamte weder seinen Schritt noch wich er einen Fußbreit zurück.
Erst kurz bevor er den Draq, der ihm sowohl in Größe als auch in Gewicht und Kraft überlegen war, angerempelt hätte, blieb er einfach stehen.
Und wartete ab.
Der Draq, der zuvor noch beifallheischend zu seinen Kumpanen hinübergeblickt hatte, machte ein ratloses Gesicht. Nichts verlief so wie vorgesehen. Der andere hätte eigentlich versuchen müssen, ihm auszuweichen, während er selbst sich ihm jedes Mal wieder in den Weg gestellt hätte. Und dieses kleine grausame Spiel hätte so lange gedauert, bis das Opfer die Fassung verloren hätte und entweder weggelaufen wäre oder versucht hätte, ein Durchkommen zu erzwingen.
Aber stattdessen …
Weil die breite Krempe des Huts seine Augen verbarg, hob Saint-Lucq langsam den Kopf, sodass sich das schuppige Gesicht in den rötlichen Gläsern seiner runden Brille spiegelte. Der Blick des Graudraqs verlor sich darin, und das Mischblut verharrte noch immer.
Gefasst wartete er darauf, dass das Reptilienwesen in ihm das Blut einer überlegenen Art spürte, erahnte, witterte, ein Blut, bei dem seine Urinstinkte ihm zuschrien, es zu fürchten und zu respektieren.
Was auch geschah.
Verstört und beschämt, unfähig, die verblüfften Blicke seiner Kameraden zu ertragen, trat der Draq zur Seite und ließ Saint-Lucq seiner Wege ziehen. Dann flüchtete er sich in die nächstbeste Gasse.
Die drei anderen blieben einen Moment lang sprachlos stehen. Was war geschehen? Wer war dieser Mann ganz in Schwarz, der gemessenen Schrittes um eine Straßenecke verschwand und weiter auf die Schuppeninsel vordrang?
Nach kurzem Getuschel beschlossen sie, ihm zu folgen.
Und ihn zu töten.
Seit einiger Zeit hatten sich die Albträume auf Distanz gehalten, aber in dieser Nacht verfolgte die erbitterte Meu te Agnès wieder im Schlaf. Als sie jäh und mit schweißnasser Stirn hochfuhr, wusste sie, dass sie in dieser schwülen Nacht nicht gleich wieder einschlafen würde. Also entschloss sie sich aufzustehen und, da sie ein leichtes Hungergefühl verspürte, etwas zu essen. Sicher würde sie in der Küche eine Kleinigkeit zu knabbern finden, während sie darauf wartete, dass der Schlaf zurückkehrte oder der Tag anbrach. So oder so führte es zu nichts, im Bett zu bleiben, umzingelt von Schatten und ihrer Pein überlassen.
Ohne sich viel um die Regeln des Anstands zu scheren, kleidete sich die junge Baronin eher spärlich an und stieg barfuß, das Hemd nachlässig in die Beinkleider gesteckt, ohne Lärm zu machen, die dunkle, breite Treppe hinunter. Das ganze Palais Épervier lag in tiefem Schlaf …
… abgesehen davon, dass da bereits jemand in der Küche war.
Es war La Fargue.
Der alte Edelmann saß allein da, sein Hut und sein Pappenheimer Degen lagen gleich neben ihm, und im Schein einer Kerze nahm er gerade einen kräftigen Imbiss zu sich.
Als er sah, wer sich da zu ihm gesellte, lächelte er und sagte scherzhaft: »Ja, wer ist denn da? Habt Ihr etwa Hunger, Baronin?«
Agnès beäugte die appetitlichen Speisen auf dem Tisch mit begehrlichem Blick.
Sie gähnte. »Ja, schon …«
»Na dann, setz dich«, lud La Fargue sie ein und wies ihr den Platz ihm gegenüber zu.
Sie setzte sich und sah dem Edelmann dabei zu, wie er ein Stück Brot abschnitt, es mit Butter bestrich und eine dicke Scheibe Pastete darauflegte.
»Hier«, sagte er.
Agnès biss kräftig in das belegte Brot und hatte die Backen noch immer recht voll, als La Fargue ihr ein Glas Rotwein reichte und fragte: »Also? Dieser Zaubermeister?«
Sie musste das Essen mit einem Schluck Wein runterspülen, bevor sie antworten konnte. »Kurz gesagt, er kam mir ziemlich jung vor und ein wenig … wunderlich.«
Über das Gesicht des alten Hauptmanns huschte ein Lächeln.
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