Drachenkampf
klopfen würde. Die Blässe der jungen Italienerin verriet ihre Besorgnis. Sie saß in einem Sessel vor dem Fenster, ein Tuch um die Schultern und das Weibchen Traufe auf dem Schoß, starrte mit leerem Blick auf die Landschaft draußen und zuckte schon bei der kleinsten Bewegung, die sie am Himmel wahrnahm, zusammen.
Regen war noch immer nicht zurückgekehrt.
Schon seit vier Tagen entfleuchten die beiden Drachentiere jeden Morgen unauffällig dem Jagdschloss und flogen nach Paris, um dort eine Mission zu erfüllen, deren Wichtigkeit sie kaum verstanden, deren Dringlichkeit sie jedoch spürten. Dann kehrten sie im Laufe des Nachmittags zurück, bevor ihre Herrin wieder ins Schloss Fuchsbau zurückgebracht wurde und ihre Gemächer wieder besucht wurden.
Am Tag zuvor jedoch hatte Alessandra Traufe bei ihrer Rückkehr allein in der großen Voliere vorgefunden.
Die Abenteurerin hatte sich sofort Sorgen gemacht, aber sie hatte eiligst reagieren und dafür sorgen müssen, dass niemandem die Abwesenheit des Draguns auffiel. Glücklicherweise waren Regen und Traufe Zwillinge. Indem sie den Käfig offen ließ und dem Weibchen erlaubte, sich frei in ihren Gemächern zu bewegen, hatte es genügt, dass Alessandra sie hin und wieder Regen nannte, um alle glauben zu machen, dass die beiden kleinen Reptilien anwesend waren, bloß nie gemeinsam in einem Zimmer.
Schließlich hatte man sie wieder allein gelassen, und die Italienerin hatte die ganze Nacht lang angespannt und voll Erwartung den Himmel beobachtet. Vergeblich. Erst kam die Morgendämmerung, dann wurde es Tag. Schloss Fuchsbau erwachte, und Alessandra musste sich bald zeigen, das Geschwätz ihrer Kammerzofe erdulden, gute Miene zu Leprat machen und sich vielleicht sogar mit der Kutsche zu dieser traurigen Gestalt Laffemas bringen lassen, in sein nicht weniger trostloses Châtelet …
Aber selbst wenn das Verschwinden des jungen Männchens nicht bemerkt würde – könnte Alessandra die Fassade noch lange aufrechterhalten?
Sie bezweifelte es.
Regen und Traufe waren für sie viel mehr als bloß zwei Haustiere. Sie liebte sie und sah in ihnen Verbündete, Gefährten, deren treue Dienste sie häufig in Anspruch nahm.
Vielleicht zu häufig.
Wenn Regen irgendetwas zugestoßen war, würde sie sich das nie verzeihen, obwohl sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte, als die Dragune einzusetzen, um herauszufinden, wo in Paris sich ihre Verfolger versteckten. Das war im Übrigen der zweite Teil ihres Plans. Zuerst hatte sie sich dem Kardinal ausgeliefert, sich auf Schloss Fuchsbau bringen lassen, die Draqs nach Paris gelockt und sie gezwungen, sich an dem einzigen Ort weit und breit niederzulassen, an dem sie niemand erkennen würde: auf der Schuppeninsel. Somit hätte die Beute ihre Jäger in die Enge getrieben – und der erste Teil ihres Plans hätte sich erfüllt.
Danach müsste sie nur noch ihren Schlupfwinkel ausfindig machen, bevor die Draqs sie fanden. Und schließlich, wenn all dies erledigt wäre, müsste sie nur noch den dritten Teil ihres lang gehegten Plans umsetzen …
Es klopfte an der Tür.
Überrascht richtete sich Alessandra auf, verharrte einen Moment lang ratlos und gewann dann wieder die Kontrolle über sich. Rasch sperrte sie Traufe ein, warf ihr Schultertuch über den Käfig und hatte gerade noch Zeit, unter ihre Bettdecke zu schlüpfen, bevor die Kammerzofe eintrat. Eine typische List von neugierigen Domestiken: anzuklopfen, die Tür aufzumachen, jemanden bei etwas zu überraschen und sich dann, wenn es nötig war, zu entschuldigen und zu behaupten, man habe die Erlaubnis einzutreten vernommen.
»Verschwinde!«, murmelte Alessandra und tat, als sei sie noch im Halbschlaf.
»Aber Madame …«
»Verschwinde, habe ich gesagt!«
»Aber es ist doch schon spät, Madame …«
»Ah, so ein Biest! Verschwinde auf der Stelle, oder du bekommst Prügel!«
Als ein Pantoffel gegen die Tür schlug, wich die Kammerzofe zurück.
Wie viel Zeit habe ich wohl gewonnen? , dachte sich die Italienerin. Sicher weniger als eine Stunde. Die Kammerzofe wird noch ein weiteres Mal an meine Tür klopfen, aber danach wird es Leprat sein.
Und dem werde ich mit einem Pantoffel keine Angst einjagen können …
Niedergeschlagen erhob sich Alessandra wieder, ging zum Fenster hinüber, wobei sie darauf achtete, vom Garten aus nicht gesehen zu werden. Sollte sie nicht eigentlich aus Faulheit das Bett hüten? Mit zusammengekniffenen Augen suchte sie den Himmel ab, der
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