Drachenkampf
Augen wirkte Laincourt sehr aufgeregt, vollkommen untypisch für diesen sonst so überlegten und zurückhaltenden jungen Mann.
»Einen Moment«, sagte er, stand ohne abzuwarten auf, nahm das kleine Büchlein vom Kaminsims, in das Naïs immer ihre Einkäufe eintrug, und riss eine Seite heraus. Dann setzte er sich wieder hin und machte sich mit Hilfe einer Bleimine daran, den verschlüsselten Brief zu übertragen. Sein Blick wanderte von einem Blatt zum anderen, während seine Hand hastig schrieb, als hätte sie ein Eigenleben. Mit schmalen Lippen und zusammengebissenen Kiefern wirkten seine Gesichtszüge ganz angespannt vor Konzentration.
»Das ist sogar leichter, als ich zu hoffen gewagt hätte«, sagte er.
»Warum?«
»Weil ich diese Geheimschrift kenne.«
La Fargue entdeckte an Laincourt gerade Talente, von denen er noch gar nichts wusste und deren Bedeutung er durchaus ermessen konnte. Einige Minuten verstrichen in fieberhafter Stille, gestört bloß von dem Kratzen der Bleimine auf dem Papier.
»Das wär’s«, verkündete der junge Mann dann plötzlich und schob La Fargue den Brief und seine Entschlüsselung hin. »Vielleicht werdet Ihr etwas Mühe haben, meine Schrift zu lesen, aber dafür werdet Ihr nicht zu spät ins Palais-Cardinal kommen.«
Er war beinahe außer Atem, aber man sah ihm weder Stolz noch Zufriedenheit an.
Lächelnd lehnte sich der Hauptmann der Klingen auf seinem Stuhl zurück und blickte Laincourt anerkennend und amüsiert zugleich an. Schließlich hatte er ihn soeben mit einer erstaunlichen Zaubernummer verblüfft.
»Ihr wolltet doch aber etwas mit mir besprechen«, sagte er nach einer Weile. »Was gibt es?«
»Ich könnte an die Chevreuse herankommen.«
»Wie?«
Der junge Mann erzählte vom Chevalier de Mirebeau, von seinem Angebot und dem Schreiben, das ihm die Tür zum Schloss der Chevreuse öffnete.
»Und Ihr bietet also an, dieses Schreiben für unsere Zwecke einzusetzen«, schlussfolgerte La Fargue.
»Ja.«
Der alte Edelmann dachte einen Moment lang nach und wog Für und Wider gegeneinander ab. »Also gut«, sagte er schließlich. »Aber seid äußerst vorsichtig.«
»In Ordnung.«
»Haltet die Augen offen und spitzt die Ohren, aber auf völlig unverfängliche Weise. Denkt an die Befehle des Kardinals: Wir dürfen um keinen Preis riskieren, das Misstrauen der Herzogin zu wecken. Lauscht an keiner Tür, späht durch kein Schlüsselloch und hütet Euch davor, zu indiskrete Fragen zu stellen.«
»Gut.«
»Und vor allem nehmt Euch vor der Herzogin in Acht. Ihr wäret nicht der Erste, den sie fallen lässt …«
La Fargue war gerade zu Almadès zurückgekehrt, der im Hof mit den beiden Pferden auf ihn wartete, als eine herrschaftliche Kutsche durch das Hoftor gefahren kam, das Guibot zuvor, auf seinem Holzbein daherhinkend, eilig geöffnet hatte.
»Wer kommt denn da?«, fragte der Hauptmann der Klingen. »Habt Ihr mitbekommen, wer sich angemeldet hat?«
»Nein«, erwiderte der spanische Fechtmeister. »Aber es kommt selten vor, dass sich Monsieur Guibot so beeilt.«
Von einem prächtigen Gespann gezogen, hielt die Kutsche vor ihnen, und sie verstanden die Eile ihres Pförtners, als sie den Marquis d’Aubremont heraussteigen sahen. Der pflichtbewusste Ehrenmann trug einen der angesehendsten Namen von ganz Frankreich. Aber er war auch der beste Freund, den La Fargue auf dieser Welt hatte. Wie er selbst war er um die sechzig und gab noch immer eine stattliche Erscheinung ab mit seinem grauen Haar, dem würdigen Aussehen und den gemessenen Gebärden.
Der Hauptmann der Klingen und der Marquis umarmten einander herzlich und feierlich. Sie hatten sich nicht mehr gesehen, seit der Marquis seinen ältesten Sohn begraben hatte.
»Mein Freund«, sagte La Fargue, dessen Augen vor Glück glänzten. »Welche Freude …«
»Danke, mein Freund, danke … Auch ich bin hocherfreut, Euch wiederzusehen.«
Früher waren sie unzertrennliche Freunde gewesen: La Fargue, d’Aubremont und Louveciennes. Als Gefährten und Waffenbrüder hatten sie Seite an Seite im Bürger- wie im Religionskrieg gekämpft, in dem das Königreich damals blutig versank. Dann hatten sie dem »Béarnais« geholfen, den französischen Thron zu erobern und Henri IV. zu werden. Nach dem Tod seines Vaters hatte d’Aubremont den familiären Verpflichtungen nachkommen müssen, die ein großer Name eben mit sich brachte. Doch zwanzig Jahre später wurde der älteste seiner Söhne, der damals bei den Musketieren des
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