Drachenkampf
selbstverständlich, aber auch die Wohnhäuser, die man mangels Hausnummern nur so erkannte. Diese Schilder dienten als Adressen von Geschäften und Privathäusern: » Rue Saint-Martin , bei dem Schild mit dem roten Hahn.« Dies galt jedoch nur für Bürgerliche.
Die Stadtpalais, die unter Louis XIII. noch dem Adel vorbehalten waren, hatten keine Aushängeschilder. Sie bekamen die Namen ihrer Besitzer, und oftmals zierten wertvolle Waffen ihre Frontgiebel, das genügte: » Hôtel de Châteauneuf , Rue Coquillière «. Oder sogar bloß: » Hôtel de Chevreuse , in Paris«.
Die Pariser Straßen waren also voll von unzähligen bunt bemalten Holzschildern, für die die Hauptstadt bekannt war und die ihr bei schönem Wetter eine heitere Anmutung verliehen. Die Abbildungen auf diesen Schildern waren ganz verschieden – Heilige, französische Könige und andere religiöse und weltliche Persönlichkeiten; Werkzeuge, Waffen und verschiedenste Gerätschaften; Bäume, Früchte oder Blumen; Tiere und Fantasiewesen –, aber sie zeugten in ihrer Gesamtheit kaum von wahrem Einfallsreichtum oder einem besonders originellen Geschmack. Auf ein »Ausschlagendes Pferd« und eine »Wyverne mit Handschuhen« kamen unzählige Zinnteller und goldene Löwen.
Das Erstaunlichste daran war aber vielleicht die Tatsache, dass die Aushängeschilder der Läden in keiner Weise etwas mit dem Geschäft zu tun hatten, das darin betrieben wurde. Kein Stiefel für den Schuhmacher und kein Amboss für den Schmied. Nur die Tavernen waren verpflichtet, sich durch einen »Strohwisch« kenntlich zu machen – einer Handvoll in der Mitte zusammengebundenes Stroh oder Reisig.
Auch wenn die Schilder ihren Zweck erfüllten und das oft schnöde Stadtbild aufheiterten, so stellten sie doch oftmals auch eine gewisse Beeinträchtigung dar, da ihnen so mancher Ladenbesitzer eine enorme Größe gab. Die schmiedeeisernen Aufhängungen, die sie trugen, waren oft beinahe einen Klafter, also knapp zwei Meter groß. Wenn man die Breite einer gewöhnlichen Straße von Paris nimmt, bedeutete das, dass so manches Schild bis in die Mitte der Straße hineinhing. Zusätzlich zu den Verkaufsständen oder Vordächern stellten diese Schilder somit eine wahre Verkehrsbehinderung dar und verschlimmerten das Gedränge in den Straßen mit vielen Geschäften, die sowieso schon die lebhaftesten waren, umso mehr. Im Viertel rund um Les Halles gab es mehr als dreihundert solcher Schilder, und beinahe genauso viele allein in der Rue Saint-Denis . Die Kutschen rissen sie mitunter ab, und die Reiter wichen ihnen tunlichst aus. Und selbst die Fußgänger stießen sich manchmal die Köpfe an den bunt bemalten Schildern.
Meist aus Unachtsamkeit.
Aber nicht nur.
»He!«
Der Mann drehte sich um und sah einen Affenkopf auf sich zusausen, bekam das Schild mitten ins Gesicht und taumelte rückwärts, während die hölzerne Hängevorrichtung weiter mit Schwung hin und her schaukelte.
Erst dann hielt Marciac es an und betrachtete mit ruhigem und zufriedenem Blick denjenigen, der mit überkreuzten Armen bewusstlos zu seinen Füßen lag.
Diese Szene spielte sich in der Rue Grenouillère ab, in der frühen Morgendämmerung, während das Stadtviertel und ganz Paris gerade erst erwachten.
Marciac kehrte klammheimlich ins Fröschchen zurück. Das Haus schlief noch, denn der Morgen brach erst an, und die letzten Kunden hatten sich, wie so oft, erst zu vorgerückter Stunde verabschiedet. Das kam dem Gascogner gerade gelegen, der darauf hoffte, sich wieder in Gabrielles warmes Bett zu begeben, ohne dass diese überhaupt merkte, dass er weg gewesen war. Doch er wollte gerade mit den Stiefeln in der Hand die Treppe betreten, als er hörte:
»Wie geht es deinem Knöchel?«
Er erstarrte, und sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, während er die Lider fest zusammenkniff. Doch gleich darauf öffnete er ein Auge, wandte den Kopf und erblickte durch eine weit geöffnete Tür Gabrielle, die allein am Küchentisch saß. Sie saß mit dem Profil zu ihm, sehr aufrecht, aß und starrte geradeaus. Sie hatte ein großes Tuch um die Schultern geschlungen und war im Nachthemd, weder frisiert noch zurechtgemacht.
Und dennoch schön.
Der Gascogner entschloss sich, zu ihr zu gehen. Er hasste Erklärungen und Vorwürfe, aber diesmal würde er weder um das eine noch um das andere herumkommen. Also schlurfte er zu einem Stuhl und ließ sich darauf fallen.
»Meinem Knöchel geht es schon viel besser«, sagte er.
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