Drachenkampf
das dich zerfrisst …
Noch nie war dieser Ausdruck treffender gewesen.
Agnès kam am frühen Abend an. Die Abtei befand sich in einer ruhigen Gegend, abseits der viel benutzten Straßen und umgeben von Feldern, Wäldern und Höfen, von denen sie ihre Einkünfte bezog. Hoch im Sattel betrachtete die junge Baronin die schönen Gebäude und die weißen, verschleierten Gestalten, die hinter der Einfriedung wandelten. Erinnerungen an ihr eigenes Noviziat kamen auf.
Als in der Dämmerung eine Glocke erklang, die zum Gebet rief, drückte sie ihrem Pferd sanft die Fersen in die Seite.
Bald darauf hieß man sie in einem Kreuzgang warten, wo sie allein den neugierigen Blicken und dem Geflüster der vorbeihuschenden Nonnen ausgesetzt war. Sie wusste aus eigener Erfahrung, welch kleine Welt eine solche Abtei war und wie schnell sich Neuigkeiten dort verbreiteten. Ohne Zweifel kreiste ihr Name bereits, und sicher munkelte man auch schon, dass sie um ein Treffen mit der Mutter Oberin gebeten hatte. Erinnerte man sich hier noch an sie? Vielleicht. Wie dem auch sein mochte, der Grund für ihren Besuch musste bereits in aller Munde sein …
Ziemlich zufrieden darüber, welche Wirkung ihre Anwesenheit und ihre Aufmachung als bewaffnete Reiterin hier machte, besonders bei ein paar Novizinnen, die sich hinter den Säulen versteckten, um sie heimlich beäugen zu können, setzte Agnès eine unbewegte Miene auf und geduldete sich. Doch ein strenges Räuspern genügte, um die jungen Mädchen zur Ordnung zu rufen, als der Auftritt der Mutter Oberin sie schnell verscheuchte.
Mutter Emmanuelle de Cernay war um die sechzig und eine Frau voller Energie, mit einem energischen Gesicht und offenem Blick. Mit zwei Schwestern im Gefolge schenkte sie Agnès ein inniges Lächeln, nahm sie in die Arme und küsste sie auf beide Wangen. Die junge Baronin erwiderte ihre Zuneigungsbekundungen mit der gleichen Wärme.
»Marie-Agnès! Wie lang haben wir uns schon nicht mehr gesehen … Und dein letzter Brief ist auch schon einen Monat her!«
»Die Klingen haben sich wieder formiert, ehrwürdige Mutter.«
»Tatsächlich? Wann denn?«
»Vor ungefähr einem Monat.«
»Das wusste ich nicht … Noch immer unter dem Kommando dieses alten Edelmannes?«
»Hauptmann La Fargue, ja.«
»Und geht es dir gut?«
»Ja, schon …«, antwortete Agnès mit einem leicht schuldbewussten Lächeln.
»Nun, das ist gut, das ist gut … Aber pass auf, dass du keinen Degenhieb abbekommst, der dich bereuen lässt, nicht den Schleier gewählt zu haben!«
»Das müsste schon ein sehr, sehr schlimmer Degenhieb sein, ehrwürdige Mutter …«
Die Äbtissin nahm Agnès am Arm, und sie gingen den Klostergang entlang. Mit einem resignierten Kopfschütteln sagte die alte Frau schließlich: »Intrigen, wildes Herumreiten, ja sogar Fechtkämpfe … Das hat dich schon immer fasziniert, Marie-Agnès …«
»Und die Männer. Ihr vergesst die Männer, ehrwürdige Mutter.«
Die Mutter Oberin lachte glucksend. »Ja. Und die Männer … Weißt du, dass der Efeu an der Nordmauer von einigen Altgedienten noch immer ›Agnèsefeu‹ genannt wird?«
»So oft bin ich ihn nun auch wieder nicht hinaufgeklettert …«
»Sagen wir lieber, dass du nicht jedes Mal dabei erwischt wurdest …«
Noch immer ins Gespräch vertieft, verließen sie das Klostergebäude und betraten einen Garten. Die Mutter Oberin bedeutete ihren Begleiterinnen, am Eingang zu warten, und als Agnès und sie sich ein wenig entfernt hatten, vertraute sie ihr an: »Eine der beiden bespitzelt mich. Ich weiß nicht, welche. Aber wen wundert es? Die Ordensvorsteherin misstraut mir noch immer. Nach all den Jahren …«
Früher hatte Mutter Emmanuelle dem Orden des heiligen Georg vorgestanden. Doch infolge dunkler Machenschaften war sie von der aktuellen Ordensvorsteherin verdrängt worden, die, wie es der Zufall wollte, mit Richelieu verwandt war. Seitdem war der Orden ein mehr oder minder bekennendes Instrument der Politik des Kardinals, zum großen Missfallen Roms. Doch seit dem Konkordat von Bologna im Jahre 1516 war dem französischen König die Ernennung der Äbte und Äbtissinnen vorbehalten.
»Aber was kann ich für dich tun, Marie-Agnès? Denn ich kann mir vorstellen, dass du nicht gekommen bist, um mir zu verkünden, dass du dein Noviziat nun doch noch beenden möchtest …«
Die junge Baronin lächelte und musste daran denken, wie nah sie daran gewesen war, den Schleier zu nehmen. Dann erzählte sie der Mutter
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