Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
das abgebildete Geschehen unmittelbar einwirken zu können. Natürlich kann man in die Hände klatschen oder den Träumenden ins Ohrläppchen zwicken – aber dies ist keine gezielte Beeinflussung.
Quadrangel starrt Styx nachdenklich an und beschließt, ihn erst einzuweihen, wenn es soweit ist. Auf jeden Fall wird er sich diesen Mann als Gehilfen nehmen, und der wird ihm dafür noch dankbar sein – besser könnte es sich kaum fügen.
Aber da kommt Quadrangel ein noch viel phantastischerer Gedanke. Wäre es nicht möglich, irgendeine Verbindung zwischen dem Encephalovisor und dem System der Unterhaltungselektronik herzustellen? Natürlich ginge das nur auf illegale Weise, aber daran hat Vegard sich längst gewöhnt, Unerlaubtes ist für ihn ein Werkzeug im Kampf gegen die Beschränkung geworden. Könnte er in die Wunschträume der Besatzungsmitglieder eindringen, diese so sehen, wie sie gern sein wollen – seine Psychogramme wären die präzisesten, die man sich nur vorstellen kann. Weiter will er gar nicht denken, zum Beispiel daran, welche Macht ihm sein geheimes Wissen gäbe…
“Doktor, bitte, erinnern Sie doch Superproximer Styx an seine Brückenwache, sie beginnt in fünfzehn Minuten.” Flakkes Stimme – über den Bordruf klingt sie immer etwas näselnd – reißt ihn aus seinen erregenden Vorstellungen in die komplizierte Wirklichkeit zurück.
Als ob er es gewußt hat, denkt Vegard unbehaglich. “Gut, Kosmander, ich schmeiß ihn raus”, entgegnet er lakonisch.
“Gehen Sie nicht so grob mit ihm um, Doktor”, bittet Flakke, “ich würde ihm gern noch eine Freiwache geben, aber wir brauchen Styx auf der Brücke für das Swing-by-Manöver… Wie geht es unserem Helden?”
Quadrangel hört deutlich die Angst aus den letzten Worten heraus. Alle halben Stunden fragt Flakke dasselbe.
“Ist übern Berg”, antwortet er kurz angebunden. Himmel – wie oft soll er ihm das noch sagen!
Flakke muß am Klang der Stimme gemerkt haben, daß er Vegard Quadrangel auf die Nerven geht, er murmelt entschuldigend: “Verstehen Sie mich doch, Doktor, wir hätten beinahe zwei Tote gehabt, und daß ich Skamander noch mit der Landefähre rausgelassen habe, wird man mir schwer ankreiden, obwohl wir gerade dadurch das Ärgste verhindert haben…, aber es verstößt nun mal gegen die Vorschrift…”
Um die Dienstvorschrift und die nautischen Regeln hat Vegard sich nie gekümmert, und so blickt er jetzt verwirrt auf und sieht auf den kleinen Bildschirm des Bordrufs, direkt in Flakkes graues Gesicht. “Wie – man wird Sie dafür zur Rechenschaft ziehen, daß Sie diesem…, na, diesem Skamander”, der Name geht ihm nicht ganz ohne Ressentiments über die Zunge, “daß Sie dem erlaubt haben, zwei Menschenleben zu retten? Das ist doch schierer Unsinn, Kosmander!”
“Sie irren, Doktor”, sagt Flakke müde, “das ist Paragraph einhundertzwölf, Absatz acht, Strich drei der Verordnung über Pflichten und Verantwortlichkeit leitender Kader, und dieser Paragraph ist ganz in Ordnung. Ich bin dran, und die Tatsache, daß Skamander zwei Menschenleben gerettet hat, ändert überhaupt nichts daran, daß ich ein drittes in Gefahr gebracht habe…”
Quadrangel hört mit wachsender Empörung zu. Eigentlich geht Flakkes Wohl und Wehe ihn nur etwas an, wenn es mit der Gesundheit des Kosmanders zu tun hat, aber was er hier über Gesetze, Regeln und Vorschriften hört, scheint ihm wie ein Kaleidoskop menschlicher Dummheit.
Flakke redet von Alarmstufen und Stoßwellen, von Navigationszwängen und solarem Auftrieb, davon, daß die Rettungschance für Styx und von der Hohen Aue nicht einmal ein Prozent ausmachte und daß Skamanders Risiko mit dem Verhältnis eins zu eins beschrieben werden könnte…
Ja, aber zum Teufel: Was sollen alle Vorschriften, wenn ein Mann bereit ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um das anderer zu retten. Kann man so etwas denn verbieten? Vegard merkt beunruhigt, daß er sich weit von seinen Grundsätzen entfernt. Eigentlich müßte er doch ein begeisterter Befürworter solch eines Verbots sein – was ist nur in ihn gefahren, daß er sich plötzlich derart ereifert?
“… es ist doch so, Doktor, ich habe Sorge zu tragen, daß eine Gefährdung für Gesundheit oder gar Leben gar nicht erst eintritt. Das ist der tiefe Sinn dieser Gesetze. Daß sich die Wirklichkeit nicht an die Vorschriften hält, ist eine andere Angelegenheit, und da die Realität keine juristische Person ist, bestraft man eben den
Weitere Kostenlose Bücher