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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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Ich bedankte mich bei Wahid für seine Gastlichkeit. Er deutete auf sein kleines Haus. »Es ist auch Ihr Haus«, sagte er. Seine drei Söhne standen in der Tür und beobachteten uns. Der Kleine trug die Uhr -sie baumelte an seinem dünnen Handgelenk.
    Als wir abfuhren und ich im Rückspiegel meinen Gastgeber, von seinen Söhnen umringt, in der aufgewirbelten Staubwolke verschwinden sah, drängte sich mir der Gedanke auf, dass diese Jungen in einer anderen Welt ausreichend genährt und kräftig genug wären, um uns ein Stück weit zu begleiten.
    Vor unserem Aufbruch, als ich sicher sein konnte, dass mich niemand sah, hatte ich -fast so wie vor sechsundzwanzig Jahren - ein Bündel zerknitterter Geldscheine unter eine der Matratzen gesteckt.
    20
    Farid hatte mich gewarnt. Das hatte er. Vergebens, wie sich herausstellte.
    Wir fuhren über die holprige Straße, die sich von Jalalabad nach Kabul schlängelt. Als ich das letzte Mal auf dieser Straße, allerdings in Gegenrichtung, unterwegs gewesen war, hatte ich auf einem Lastwagen unter einer Plane gekauert. Fast wäre Baba damals von diesem bekifften, singenden Roussz'-Soldaten erschossen worden - Baba hatte mich in der Nacht fast zur Raserei gebracht, mir schreckliche Angst eingejagt und mich am Ende dann doch sehr stolz gemacht. Der Treck von Kabul nach Jalalabad, diese halsbrecherische Fahrt durch scharfe Kurven zwischen Felsen bergab, war jetzt nur noch Erinnerung, ein Überbleibsel aus zwei Kriegen. Vor zwanzig Jahren hatte ich Szenen des ersten Krieges mit eigenen Augen gesehen. Düstere Mahnmale säumten den Straßenrand: ausgebrannte alte sowjetische Panzer, umgekippte, durchgerostete Truppentransporter, ein zermalmter russischer Jeep, abgestürzt aus großer Höhe. Den zweiten Krieg hatte ich am Fernsehbildschirm miterlebt. Und jetzt sah ich das alles mit den Augen Farids.
    Farid war in seinem Element. Scheinbar mühelos wich er den Schlaglöchern aus, die sich mitten auf der Fahrbahn aneinander reihten. Seit unserer nächtlichen Einkehr in Wahids Haus war er sehr viel gesprächiger geworden. Er hatte mich auf dem Beifahrersitz Platz
    nehmen lassen und sah mich beim Sprechen immer wieder an. Ein- oder zweimal zeigte er sogar ein Lächeln. Während er mit seiner verstümmelten Hand am Lenkrad kurbelte, deutete er auf kleine aus Lehmhütten zusammengewürfelte Dörfer entlang des Wegs, wo vor Jahren Bekannte von ihm gewohnt hatten. Die meisten von ihnen, sagte er, seien tot oder in Flüchtlingslagern in Pakistan. »Und manchmal sind die Toten besser dran«, sagte er.
    Er zeigte auf eine Ortschaft, von der kaum mehr als ein paar rußgeschwärzte, bröckelnde Mauern übrig geblieben waren. In einem Winkel lag schlafend ein Hund. »Da hat einmal ein Freund gewohnt«, sagte Farid. »Er hat Fahrräder repariert. Und gut tabla spielen konnte er. Die Taliban haben ihn und alle Angehörigen umgebracht und das Dorf niedergebrannt.«
    Wir passierten die Ruinen; der Hund rührte sich nicht.
    Früher hatte die Fahrt von Jalalabad nach Kabul rund zwei Stunden gedauert, vielleicht ein bisschen länger. Jetzt brauchten wir sechs Stunden. Und als wir endlich ankamen - wir hatten gerade den Mahipar-Damm hinter uns gelassen -, meinte Farid, mich vorwarnen zu müssen.
    »Kabul hat sich sehr verändert«, sagte er. »So hört man.«
    Farid warf mir einen Blick zu und erwiderte, dass etwas zu hören und zu sehen nicht dasselbe sei. Und er hatte Recht. Denn als sich die Stadt vor uns ausbreitete, schien es mir, nein, ich war mir sicher, dass er sich verfahren hatte. Er muss meine verdutzte Miene registriert haben - als Chauffeur war ihm dieser Ausdruck auf den Gesichtern derer, die Kabul lange Zeit nicht gesehen hatten, gewiss vertraut.
    Er klopfte mir auf die Schulter. »Willkommen daheim«, grüßte er verdrossen.
    Trümmer und Bettler. Wohin ich auch sah, das war es, was sich mir zeigte. Natürlich hatte es auch früher Bettler gegeben - eigens für sie hatte Baba immer ein paar Geldscheine in der Tasche gehabt; ich habe nie gesehen, dass er einen von ihnen hätte leer ausgehen lassen. Jetzt aber hockten sie in zerfetztem Sackleinen an jeder Straßenecke und streckten verdreckte Hände nach Almosen aus. Die meisten waren noch Kinder, dünn und mit verhärmten Gesichtern, manche kaum älter als fünf oder sechs. Einige saßen auf dem Schoß der verschleierten Mutter am Rand geschäftiger Straßenecken und riefen »Bakschisch!«. Und da war noch etwas, was mir erst nach einer Weile

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